carsten werners

Leviten und Kaffeesatz gelesen: Kultur(politik) braucht Konkurrenz, Konzepte und Kommunikation, Kritik und Kriterien

In Ideenwirtschaft, Kunst, Politik, wörtlich! on 14. Dezember 2012 at 19:00

Liebe Kulturtreibende und KunstgenießerInnen,

„Leviten und Kaffeesatz lesen“ sollten uns Sönke Busch, Jochen Bonz, Christina Vogelsang, Renate Heitmann und Arie Hartog am 5. 12. im Gerhard-Marcks-Haus, Impulse für grüne Kulturpolitik haben wir uns gewünscht und in fünf nachdenklichen, so kritischen wie inspirierenden Reden bekommen.

Nun lässt sich aus 120 Minuten Veranstaltung und individuellen nächtlichen Nachbereitungen schwerlich ein kulturpolitisches Programm ableiten. Wir wollen deshalb weiter arbeiten und die Diskussionen fortsetzen. Dazu werden wir im neuen Jahr ein Blog einrichten, auf dem das geschehen kann – und sicher „viel Kaffee trinken und besprechen“, wie es im Lauf der Debatte hieß.

Zu den drei großen Themenkomplexen Teilhabe und Inklusion, kulturelle Bildung und Kompetenz sowie der gesellschaftlichen Lage vor allem des kulturellen Nachwuchses – die unsere politische Arbeit ja auch jenseits der Kulturpolitik intensiv beschäftigen – haben sich aus meiner Sicht folgende Herausforderungen und Denkansätze aus unserem Treffen herauskristallisiert, die wir weiter diskutieren und entwickeln sollten:

–         Die Nachwuchsförderung beginnt mit der Wahrnehmung und Akzeptanz von Kulturformen und Kulturtechniken auch der nachwachsenden Generationen; das gilt für die kulturelle Bildung, das Leben in Alltags- und Freizeitkulturen sowie für die Märkte der Kulturwirtschaft (wie Kino, TV, Buchmarkt, Spiele und Internet) gleichermaßen.

–         Kultur ist in der Gesellschaft „angekommen“ und ist inzwischen selbstverständlicher Teil auch der Stadtentwicklung, der Bildung, der sozialen Inklusion und des Wirtschaftslebens. Kunst, Kreativität und Kulturpolitik dürfen sich in diesen Bereichen weder verbiegen noch ihre Eigenart verwässern; sie sind nicht die gesellschaftliche Pannenhilfe. Vielmehr müssen sie selbstbewusst um ihre Ansprüche, Identitäts- und Qualitätskriterien ringen, auch für ihren eigenen sozialen Status kämpfen.

–         Lese-, Schreib- und Medienkompetenz sind Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie – kulturelle Bildung ist deshalb ein wesentliches Element zeitgemäßer Bildungspolitik. Künstler und Kreative können dazu ihre Kunstfertigkeiten, ihre Maßstäbe und Ideen beitragen – sie dürfen und können aber nicht Pädagogen ersetzen.

–         Teilhabe bedeutet auch im kulturellen Bereich Anerkennung, Akzeptanz, Kommunikation und Wahrnehmung.

–         Es gilt eine Krise der Kritik, mehr vielleicht noch eine „Krise der Kriterien“ zu überwinden.

Die größte Herausforderung für eine erfolgreiche Kulturentwicklung und Kulturpolitik in diesem umfassenden Sinne scheinen mir die vielfältigen disparaten Scheuklappen- und Tunnelperspektiven, Befindlichkeiten und Interessenslagen (und auch Desinteressenslagen) der einzelnen Sparten- und Institutionen-Ebenen in Kultur und Politik zu sein. Denn Kulturpolitik, Kulturentwicklung zumal, können nicht politische Parteien betreiben: Wir sind angewiesen auf Ideen, Impulse, Forderungen all derer, die sich für Kunst und Kultur interessieren und sie konsumieren – wie und warum auch immer. Kulturverwaltung kann erst verwalten, was ist.

Deshalb brauchen wir neue Diskursfreude und Streitkultur, eine Perspektivendebatte über Kunst und Kultur. Kultur muss sprechfähig sein – wie alle anderen gesellschaftlichen Interessengruppen und –vertretungen auch. Die Frage „Was wollt Ihr denn?“ richtet sich an alle, die Kultur wollen. Zu ihrer Beantwortung braucht es Konkurrenz, Konzepte und Kommunikation, Kritik und Kriterien!

Warum ist aktuelle Kulturpolitik – von der konkreten Förderung künstlerischen Nachwuchses und kultureller Netzwerke über die Erhöhungen und Verbesserungen der Projektförderung oder das Einrichtungs-Contracting bis hin zur Sonntagsöffnung der Bibliotheken oder der Raumsuche für Theaterlabor, Wilde Bühne oder Zuckerwerk, um einige wichtige grüne Anliegen zu benennen – in der Szene so wenig bekannt? Warum wird in Bremens Kunstszene über Bauten und Beraterverträge gestritten – und so wenig über Konzepte? Hat denn wirklich niemand – über die direkt und persönlich Engagierten, Betroffenen und Verantwortlichen hinaus – in Bremen Interesse und Ideen für die Zukunft des Überseemuseums, der Weserburg, der GAK, der Städtischen Galerie oder der Kultur in der Überseestadt? Schon in der Diskussion, allein in einem Wettstreit der Ideen über diese öffentlichen Angelegenheiten liegen unendliche Potentiale der Teilhabe und Erkenntnis, der kreativen Betätigung und Auseinandersetzung, der Kultur- und Stadtentwicklung!

Ist die immer wiederkehrende Klage einzelner Künstler und Kulturschaffender über fehlende Aufmerksamkeit durch die Politik nicht auch eine Klage über fehlende Aufmerksamkeit der Szene selbst, des Publikums und der Medien? Müssen, sollten, können PolitikerInnen dieses Defizit kompensieren? Würde es der Szene, der Kritik, dem Diskurs, den Ideen aufhelfen, wenn sich ein paar PolitikerInnen ein paar mehr Bilder, Konzerte, Inszenierungen ansähen? Ich glaube nicht, dass sie im Kulturpublikum unterrepräsentiert sind – weder KulturpolitikerInnen noch die VertreterInnen der vielen anderen Politikbereiche aller Parteien. Wir müssen und können die Rahmen für Kreativität und Kulturvermittlung verändern – durch verbesserte, transparentere Vergabeverfahren, durch Kommunikation, durch Finanzierungen und die Bereitstellung von Räumen, durch das Erkennen und Stärken von Entwicklungen, natürlich auch durch das Hinterfragen von Etabliertem, das Provozieren von Neuigkeiten, das Stützen von Waghalsigem, Vorsichtigem und Visionärem.

Darüber lasst uns auch 2013 weiter diskutieren und streiten!

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  1. Die Medien schreien nach Inhalten und die Kulturschaffenden können ihre Inhalte anscheinend nicht in Konzepte, Strategien, Formate und Marketing umsetzen. Wieso scheitern gut gemeinte und richtige Ansätze wie Schwankungen, die Garage von Radio Bremen, bremen4u, Musicalcompany, freihafen3 etc. etc.Wo sind dei Erfolgsgeschichten in Bremen und außerhalb? Wäre es nicht mal sinnvoll eine andere Sichtweise zu wagen, den Phönix aus der Asche kommen zu lassen und eine lustvolle Bestandsaufnahme des Scheiterns zu machen?

    • Die (jüngeren) Erfolgsgeschichten heißen in Bremen z. B. Zollabfertigung, Speicher XI, ZZZ, Ideenlotsen, Klub Dialog, Zeitschrift der Straße, Zett, Bremer Weltspiel, Du bist der Schlüssel, swb-Bildungsinitiative, stART-Stiftung, Sparkassen-Stiftung, koopstadt, Bürgerpark, Kunsthalle, junge akteure, Jazzahead, SlowFisch, Schaulust, GAK, Künstlerhaus am Deich, Alte Schnapsfabrik, Schwankhalle, „Mensch, Puppe“, Kriminaltheater und Fritz, das „neue“ Bremer Theater, Shakespeare Company. Das Scheitern von Projekten hat jeweils meistens sehr spezifische Gründe – und das sind ganz oft persönliche. Es wäre interessant und erhellend, zu gucken, was jeweils aus den Personen ambitionierter, aber „gescheiterter“ Projekte geworden ist: Gehen die weg, gehen die weiter, machen die was Ähnliches oder anderes? Was ist daran gut und zielführend, was ist daran nicht gut und was wäre daran zu ändern?

      Natürlich ist Scheitern ein Weg – und Institutionalisierung ist nicht immer ein Ziel, Gewinn und Erfolg!

      Die zentrale Frage scheint mir aber zu sein: Warum stehen Diskurs , Debatte, Streit, Entwicklung insgesamt so schlecht im Kurs? Weil sie nicht nötig sind? Weil die Parallelgesellschaften und -szenen auch in der Kultur überhand genommen haben? Oder weil sie so mühsam, zeitintensiv, wenig angesehen und anerkannt, wenig überzeugend und effektiv sind? Weil sie zu uneigennützig, zu wenig (oder zu sehr?) ziel- oder „gewinn“orientiert sind?

      Und eine Folgefrage: Warum ist der Stadtmusikantenpreis als letztlich diskursfreie, künstliche Als-Ob-Kreation und Klon – wie auch manche andere ritualisierte Preise und Festivals – medial so viel präsenter als echte Auseinandersetzungen, Gottesdienste, Ehrungen, Zusammenkünfte, Feiern? Das hat seine Gründe, glaube ich, vor allem im technischen und kulturell-gesellschaftlichen Wandel von Medien, öffentlichem Meinen und Wirken: Da ist viel Neues, Vorhandenes noch nicht sichtbar (und selbstbewusst) genug – und manch Überholtes klammert sich noch an alte Formen des Glitzerns, Strahlens und beruhigenden Zählens. Das gilt nicht nur für die Kultur.
      Öffentliches Denken, Fragen und Zweifeln, öffentliche Kritik, selbst öffentliches (öffentlich wirkendes, wirken wollendes, wirksames) Feiern, Loben und Lieben sind nicht so easy – und um so schwieriger, wenn Wandlung, Erneuerung, Veränderung immer gleich „Scheitern“ sein sollen!

      Aber, ja: Individuelles „Scheitern“ muss man lustvoll verstehen und beschreiben, die daraus immer erwachsenen Perspektiven zeigen – biografisch, politisch und kulturell. Und es nicht nur positiv „besetzen“, sondern auch positiv erleben – und anders nennen.

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