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Museum … im Fluss

In Kunst, Politik, wörtlich! on 10. April 2015 at 18:55

Gutachten, Meinungen, Befürchtungen ohne Ende – aber  das Museum Weserburg braucht eine neue Struktur, ein neues Konzept, eine neue Leitung und neue Räume.

Die Weserburg ist Bremens wichtigstes Gefäß für zeitgenössische Bildende Kunst. Ihre konzeptionelle und strukturelle Zukunftsfähigkeit steht für die Grünen vor der Standortfrage. Die Geschichte und die aktuelle künstlerisch-wissenschaftliche Arbeit der Weserburg bieten die großartige Chance, auch in Zukunft junge Kunst zu präsentieren – und das Sammeln selbst als künstlerischen und gesellschaftlichen Akt zu thematisieren.

Als Besucher interessiert mich z.B.: Wie sammeln Sammler heute auch im Nahen oder Fernen Osten, in Ost- und Südeuropa, im arabischen Raum oder auf dem afrikanischen Kontinent? Was bedeutet die Digitalisierung und die Reproduzierbarkeit von Kunst fürs Sammeln? Wer sammelt lokal wie was warum?

Um solche spannenden Fragen auch in naher Zukunft im Diskurs mit Künstlern thematisieren zu können, braucht die Weserburg nach meiner Auffassung:

  • 1. auch für die Zukunft eine künstlerische Leitung – die der Stiftungsrat endlich ausschreiben und besetzen muss: am sinnvollsten für einen zeitlich befristeten und konzeptionell begründeten Intendantenvertrag.
  • 2. einen Standort und ein Gebäude, wo deren Konzept unter verlässlichen finanziellen, technischen und räumlichen Bedingungen künftig und auch langfristig realisiert und präsentiert werden kann.
  • 3. eine Struktur, in der sich die Glieder der derzeitigen Stiftung (Stiftungsrat, künstlerische Leitung, Betriebsrat) nicht gegenseitig blockieren und in der die Rolle des Staates als Zuwendungsgeber klar und transparent wird.

– in dieser Reihenfolge.

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Die Arbeit der GAK mit jungen Künstlern und das wertvolle Studienzentrum für Künstlerpublikationen müssen gesichert werden.

Dazu müssen jetzt die Senatorin für Finanzen und der Kultursenator die drei verbliebenen Standort-Varianten verlässlich berechnen. Der Senat muss klären, wie weit die derzeitige Stiftungs-Struktur noch tauglich ist, so ein Museum zu betreiben. Wenn man die Kommunikation und das Gutachterwesen rund um die Weserburg betrachtet, kann man daran Zweifel haben.

Dass Gutachten vom Museum – und Schlussfolgerungen des Stiftungsrats daraus – zuerst in einer Pressekonferenz, dann der versammelten Kulturszene und erst anschließend der kulturpolitisch zuständigen Deputation vorgestellt werden, ist ein Unding – und eigentlich nur satirisch zu begründen, da die Inhalte offenbar von dort schlicht übernommen wurden.

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Kunst im öffentlichen Raum … ist Stadtentwicklung

In Kunst, Politik, Stadt on 29. Oktober 2014 at 19:29

Kunst im öffentlichen Raum ist eine öffentliche Angelegenheit!

Für einen kleinen Moment wurde groß und breit und laut über Kunst diskutiert in Bremen: Anlass war die mögliche Aufstellung einer privat finanzierten Stadtmusikanten-Skulptur des Künstlers Markus Lüpertz. Leider fand diese leidenschaftliche Diskussion aber erst statt, als Geldgeberin und Künstler ihre Idee verschreckt von der schrillen Aufmerksamkeit schon wieder zurückgezogen hatten: In den Online-Foren von Radio Bremen wurde heftig geschimpft und gewütet – nicht immer dem Kunstwerk und dem Künstler angemessen. Aber das muss Kunst im öffentlichen Raum aushalten.

Ärgerlich finde ich, dass die Diskussion um das Kunstwerk von Anfang an nicht offen war. Offenbar wurde nur ein einziger Standort – vor der Bremischen Bürgerschaft auf dem Marktplatz – ins Auge gefasst, begutachtet, abgebildet, in Aussicht gestellt, wie auch immer: Anfragen und Meinungen machten die Runde, der Präsident der Bürgerschaft und der Bürgermeister äußerten sich öffentlich in den Medien, ohne die Öffentlichkeit oder zuständige Gremien vorher beteiligt zu haben.

Aber die Geschichte der Stadtmusikanten, diese Geschichte von Lebenslust, Aufbruch, Mut und Kreativität, legt nahe, „neue“ Stadtmusikanten an ganz anderen Orten Bremens willkommen zu heißen und zu inszenieren. Nicht 4, sondern 20 Meter groß, könnten die Stadtmusikanten als ältestes multikulturelles Improvisations-Ensemble sichtbares Symbol Bremens sein; am Lankenauer Höft und Pier 2, im Hohentorshafen, am Autobahndreieck in Tenever, am Ohlenhof oder auf dem Utbremer Kreisel – statt als touristischer Knips- und Klick-Anlass die dezenten, schüchternen Original-Tiere von Gerhard Marcks am Rathaus dreist in den Schatten zu stellen.

Stadtmusikanten Bremen

Über Kunst darf, muss und soll man reden, verhandeln, streiten und entscheiden. Es gibt dazu Verfahren und Gremien der Beratung und Beteiligung. Warum wurden die in diesem Fall nicht genutzt? Wenn z.B. der „Landesbeirat Kunst im öffentlichen Raum“, der Empfehlungen aussprechen soll, überholt ist, brauchen wir neue, zeitgemäßere Strukturen. Auch die gibt es schon – weil überall die Mittel für Kunst im öffentlichen Raum knapp, die rechtlichen Rahmen uneindeutiger geworden sind und auch, weil Kunst im öffentlichen Raum inzwischen über ganz andere Formen und Formate in öffentlichen Räumen agiert als in den 70er und 80er Jahren: Hamburg beschäftigt für diese kreative Auseinandersetzung eine Stadtkuratorin und das Programm „Neue Auftraggeber“ versucht, Ideen „für eine Kunst der Zivilgesellschaft“ zu generieren.

Denn Kunst im öffentlichen Raum ist ein Prozess. Kunst im öffentlichen Raum ist ein dynamisches Element der integrierten Stadtentwicklung geworden. Man müsste darüber streiten!

 

 

Kunst, zumal im öffentlichen Raum, ist längst keine Angelegenheit mehr allein von Stadtoberen und Geldgebern – das war der Ansatz und der Auftrag, der in Bremen in den 70ern formuliert wurde und die Stadt zum Vorreiter in diesem Diskurs gemacht hatte. Heute scheint hier nicht mehr so klar zu sein, dass das Öffentliche untrennbar zur Kunst im öffentlichen Raum gehört. Darüber müssen wir in Bremen debattieren. Bevor die nächsten Stadtmusikanten straucheln, ohne eine Chance zur Ankunft bekommen zu haben.

 

 

Zur weiteren Lektüre empfohlen:

Unsere Kleine Anfrage „Kunst im öffentlichen Raum und Kunst am Bau sind
Stadtentwicklung“

Hamburgs Stadtkuratorin
mehr dazu: http://gruenlink.de/u76
noch mehr dazu: http://gruenlink.de/u77

„Neue Auftraggeber“
mehr dazu: http://gruenlink.de/u79

Die Kunst des Aufhörens

In Ideenwirtschaft, Kunst, wörtlich! on 10. Mai 2014 at 20:12

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Dieser Artikel ist ein Beitrag zu der Publikation „Brennen ohne Kohle“ der Böll-Stiftung, die hier bestellt oder als E-Book heruntergeladen werden kann. 

 

 

 

Wie schließen?

Mich nerven Leute, die aus Angst stehengeblieben sind,
obwohl sich die Welt um sie herum längst verändert hat.

(Peter Zadek)

Die anmaßende, überhebliche, unsinnliche und oberlehrerhaft arrogante Tonlage der «Kulturinfarkt»-Anstifter hat die Frage für Jahre frisch zum Tabu betoniert: «Wie schließen?» Ein kulturpolitisches No-Go also. Die Debatte wurde gar nicht erst politisch – sondern abgedrängt ins Feuilleton und entsprechend hysterisch, schrill und erratisch verhandelt; so gab es auf eine richtige Fragestellung nur vielzuviele vorlaute, vorschnelle Antworten, Geschrei; Tenor: Wir lassen alles so, wie es ist. Weil, so war es schon immer. Kulturfeinde! Freiheitsfeinde! Und: «Et hätt noch immer jot jejange!» (Wie man in Köln sagt.)

Kurz vorher noch hatten wir uns und der Kultur kühn in den rot-grünen Bremer Koalitionsvertrag geschrieben: «‹Altes› muss sich verändern und ‹Neues› muss in einer sich wandelnden Gesellschaft Räume und Ressourcen erobern können. Gerade auch zeitlich befristete Projekte können erhebliche Impulse für die Kultur- und Stadtentwicklung geben, ohne institutionalisiert werden zu müssen» – durchaus im Bewusstsein, dass solche Ermöglichung, Erneuerung nicht ohne Einschränkung geht. «Wie schließen?» wollten wir schon da lieber nicht fragen. Denn es können Mauern und Ideologien zusammenbrechen, Berufe vergehen und Wirtschaftszweige – in der Kulturförderung ist ein Schluss tabu.

Seit den 1970er Jahren bis heute boomt die Kultur in Deutschland – wo noch vor 40 Jahren pro Stadt 1–2 Theater, 1–2 Museen und 1–2 Bibliotheken die kulturelle Grundversorgung leisteten, sind ganze Industriezweige wie die Kreativwirtschaft mit Pop-, Medien- und Netzkultur hinzugewachsen, kulturelle Aufgaben und Beschäftigungsfelder wie die kulturelle Bildung und die integrierte Stadtentwicklung neu entstanden. Und vor allem ist eine Freie Szene erst entstanden und dann kontinuierlich gewachsen – in (zunächst) außerinstitutioneller Opposition zu den «Einrichtungen», eng verbunden mit der Entwicklung der Grünen und ihrer Themen übrigens: Freie Kultur kümmerte sich um Kindererziehung und sexuelle Aufklärung, um Ökologie und gesunde Ernährung, um Inklusion und Integration schon, als es die Begriffe dafür kaum gab. Freie Theater fanden (meistens) Worte und (nicht immer) Bilder für das, was irgendwie neu, kompliziert oder noch «heikel» war.

Wofür Lehrerinnen und Lehrern Worte oder Unterrichtsmaterial noch fehlten, machten irgendwo zwischen politischer Mission und Ehrenamt künstlerische Autodidakten «vermittelbar». Andererseits ging man auf die Straßen, probierte und provo zierte mit «unsichtbarem Theater». André Heller popularisierte und verknüpfte mit der künstlerischen Avantgarde der 1980er Jahre (und der Illustrierten Neue Revue) in der riesigen Park-Installation «Luna Luna» bildende Kunst und Clownstheater; Comedyfiguren wie Marlene Jaschke und der Biedermann «Herr Holm» erblickten dort das Licht der Welt. Aus diesen beiden Richtungen – institutionelle Opposition und kulturelle Avantgarde – entwickelten sich für die Theaterszene lukrative Märkte: Theater als pädagogische Funktion einerseits, Kleinkunst und Comedy andererseits.

Und so haben sie immer weitergemacht: Die Theaterspieler/innen spielen weiter, auch viele der Lehrer/innen unterrichten heute noch, die entstandenen Unterhaltungstheater sind erfolgreiche Touristenmagneten, ihre Protagonisten Fernseh-Mainstream. Sie haben (bis auf die Lehrer/innen) lange dafür kämpfen müssen: um Anerkennung in der Kulturwelt und ihrer erst entstandenen Berufe, um Gagen überhaupt, dann um Fördergeld und später auch um bauliche Institutionalisierung, zwischendurch immer wieder gegen wirtschaftliche Krisen und Unsicherheiten.

So wurden Lebenswerke daraus. Die gibt man nicht auf.

Dabei könnte das in – jetzt erst? – zeitgemäße eigene Strukturen führen: Genossenschaftsmodelle, Grundeinkommens-Versuche, Sharing nicht nur von Besitz, sondern auch von Ressourcen im Sinne einer Almende: In der Peripherie der «Freien» könnte erprobt werden, was in den Diskursen der regionalen, ökonomischen und intellektuellen Zirkel und Zentren längst wieder gedacht und behauptet wird. Welches Label, welche Formation der Freien Szene kommt eigentlich heute noch aus dem ländlichen Raum – arbeitet dort, kommt dort in Ruhe, mit Muße und Mut zu neuen Ideen? Auch da kam die «Freie Szene» mal her.

«Back to the roots», von den Ahnen lernen: Man müsste dazu die schnelle Aufmerksamkeit der Großstädte aufgeben, den dort so nahen, scheinbar greifbaren Erfolg. Aussteigen, raus ins Offene.

Stattdessen haben sich in der deutschen Theaterlandschaft Parallelwelten in Strukturen verfestigt, die Künstler und Künstlerinnen mit Missionen verdrängen oder erschöpfen. Der Nachwuchs betreibt Nachahmung von Funktionen, Nachbildung von Ästhetik. Die Stadt- und Staatstheater mitsamt ihrer Ausbildungsinstitute, Medienpartner und ihrem Publikumsabonnement verharren neben den «Freien», die auch lange schon nicht mehr so frei sind: Henning Fülle beschrieb beim «Impulse»-Festival 2012 ein «Parallelsystem der freien Theaterproduktion, das neben Künstlern und Künstlergruppen auch die Produktionshäuser, die Landesverbände und den Bundesverband der Freien Theater umfasst; das von kommunalen, Landes- und Bundes-Förderstrukturen getragen wird, dem eigene Festivals gewidmet sind und in denen die künstlerische performative und Theateravantgarde funktionieren kann. Dieses Paralleluniversum ist international orientiert und hat inzwischen auch Anschluss an die internationalen Entwicklungen der zeitgenössischen Theaterkunst gefunden.»

Diese Gegenbewegung holte für den deutschsprachigen Raum nach, was das rein literarische Bildungstheater an ästhetischen Entwicklungen der vorhergehenden Jahrzehnte in England und Amerika, Ost- und Südeuropa verpasst hatte: Mitte der 1980er Jahre fieberten wir auf Kampnagel beim Sommerfestival oder in den ersten Festivals «Politik im Freien Theater» für ein anderes Theater: politisch wirksam und aufklärerisch, ästhetisch innovativ, international. Endlich oben!

Viele «Freie» haben dabei etwas für Kunst Konstitutives ver- oder gar nicht erst gelernt: das Neuanfangen. Dem ja in der Regel ein Ende vorausgehen muss – hat doch jede und jeder von uns Hermann Hesses Ehrentags-Evergreen zur Konfirmation, zum Ende der Kindheit, zum Schulschluss, zur ersten Trauerfeier noch im Ohr – oder als Postkarte hinterm Spiegel klemmen, seine «Stufen»:
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Bloß wie kommt man auf die Höhe so eines erhebenden Endes? Das hatten und haben die etablierten Häuser den «Freien» voraus: das Aufhörenkönnen. Das fällt leichter, wenn man mal raus- und weitergehen kann, ohne dass alles zusammenbricht – und wieder rein, ohne «alles» erst erfinden zu müssen. Den Traditionen, Intendanten-Verträgen und dem Normalvertrag Solo sei Dank! (Sie machen eine urgrüne Idee weiterhin produktiv: die Rotation, den Stellungswechsel, den Rollentausch und Perspektivenwechsel als Voraussetzung für echte, innovative Kreativität.) Wenn von uns Freien doch mal jemand (s)ein «Haus» geschlossen hat, dann aus schierer Not, unter Zwang – oder um damit vergrößert, optimiert und instituionalisiert («professionalisiert»!) Wiederauferstehung zu feiern. Endlich wie die vielgeschmähten «Tanker»: manifest, immobil, unverrückbar da.

Aber immer noch ohne Vertrag, geschweige denn Tarifvertrag. Neben wenigen erfolgreichen Gruppen, Künstlern und «Marken» und einigen wenigen Produktionshäusern haben die Leistungen und Wirkungen der Freien Szenen aber die Aufstellung und Finanzierung der kulturellen Landschaft nur seltsam wenig geprägt. Während in der Bildungspolitik die Reformen kaum noch zählbar sind oder die Bauleitplanung längst von einer sozial bewegten integrierten Stadtentwicklung abgelöst wurde, während ökologisches Leben aus erneuerbaren Energien zum Mainstream wurde, sich weltpolitische Blöcke verschoben und globale Migration in Gang gesetzt haben, während also «Modernisierungsimpulse der Siebziger- und Achtzigerjahre zu ziemlich nachhaltigen Veränderungen der Mainstream- Strukturen geführt haben» (Fülle), während gerade dieser Tage eine SPD(!)-Umwelt(!)-Bundesministerin Public Viewing zur Erleichterung öffentlichen Grölens zum Sport (nicht zu einer Kultur!) erklärt – währenddessen ist die Theaterwelt resistent gegen grundlegende Entwicklung geblieben: Man konnte einfach nicht aufhören. Und ergo nicht neu anfangen.

Erobert und geblieben – wenn man die Ableger und Ausgründungen in Unterhaltungsgeschäft und Medienbetrieb außer Acht lässt, was ein Fehler sein könnte – ist für die Freien Theater ein Nischendasein mit spartanischer Förderung und prekären Arbeits- und Lebensbedingungen – verspartet und eingehegt als das per se «Neue» und/oder «Freie». Was in dieser Parallelwelt aber fehlt, ist eine Erfahrung des Aufhörens, die so wichtig wäre,
denn traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
(auch das sagte schon Hesse ;-) )

Doch für die Politik, zumal für die Grünen, ist «Freies» Theater per se gut (geblieben): Wenn es sich (irgendwie) mit kultureller Bildung verknüpft, wenn es (irgendwie; z.B. volkstheatrig oder comedymäßig) «neue Schichten erschließt», dann kann und darf das nicht falsch sein. Und am «Großen Theater» kann man nichts verändern: Wir haben uns, auch kulturpolitisch, an die Parallelwelten gewöhnt – und freuen uns irre, wenn sie sich mal begegnen, berühren, betasten oder zaghaft befruchten. Wer mehr will, erntet Protest: Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, meint zu Recht, dass heutige und künftige «Autoren des Theaters» die Regisseur/innen und Producer seien – und schafft den traditionellen «Stückemarkt» des Berliner Theatertreffens ab. Genauer: Er ersetzt die Suche nach immer neuen «Dramentexten» durch die Präsentation innovativer, integrierter Theaterforschungsarbeit. Er will etwas Altes aufgeben und etwas Neues machen. Es darf uns künstlerisch und kulturpolitisch nicht reichen, dass vor über dreißig Jahren Roberto Ciulli in Mühlheim mit seinem «Theater an der Ruhr» eine Strukturdebatte angestoßen hat: «Im Kern geht es um die Frage, wie Theaterarbeit künstlerisch und ökonomisch sinnvoll zu strukturieren ist, ob und wie die vorhandenen, tradierten Theaterstrukturen zu verändern sind. […] Die Frage nach der Struktur eines Systems ist aber die Frage nach seinem inneren Wesen, denn jede Struktur begrenzt und beschränkt die Möglichkeiten und die Fähigkeit mit dem System Welt zu kommunizieren.» Eine Idee muss die Struktur bestimmen, nicht immer wieder umgekehrt.

Ciulli hat die Idee des Reisens, die Migration und damit «einen weiterreichenden Dialog der Kulturen» zu seiner strukturbildenden Idee gemacht: «Die Bewegung, das Nichtverharren an einem Ort fordert Flexibilität und die Fähigkeit zur Improvisation und trägt wesentlich zur Finanzierung des Theaters bei», beschreibt er sein Theatermodell knapp auf seiner Homepage. Shermin Langhoffs Neuanfang am Berliner Maxim-Gorki-Theater macht jetzt wieder solche Hoffnung – und die, dass es nicht wieder für 34 Jahre die einzige Individualisierung einer relevanten «großen» Einrichtung bleibt, erwachsen aus einer kleineren, dem Ballhaus Naunynstraße.

Es mag der Fluch der Flüchtigkeit ihrer Kunst sein, der gerade Theatermenschen das Abgeben, Verwerfen und Neustarten ihrer Strukturen und Lieblingsideen so schwer macht, dass gerade im «Freien» Theater kaum ein Leitungswechsel ohne Not, Krise oder Kleinkrieg möglich scheint. Man ist halt wohl nie fertig? Ähnlich ist es in der Soziokultur. Aber es wäre so viel zu probieren und zu gewinnen, wenn mehr Verantwortliche wagen würden, irgendwomit aufzuhören und wirklich Neues zu beginnen: Ideen von einer Zukunft.

Warum gibt es immer noch kein/kaum Theater im digitalen Raum? Herbert Fritsch hat hier, mit Hamlet X und Elf Onkels, Pionierarbeiten geleistet. René Pollesch hat vor bald 20 Jahren im «Kleinen Fernsehspiel» des ZDF mit «Ich schneide schneller (soap)» TV-Theater gemacht – ob als ästhetische Form, Stoffentwicklung, zeitgemäße Hybridform oder Koproduktionsweise: Warum hat das niemand als Aufgabe auf (s)ein «Haus» übertragen? Manches Hörspiel ist heute theatralischer, dramatischer, lebendiger, authentischer als viele Bühnenspiele – warum gibt den Macherinnen niemand (s)ein gefördertes Theater? Der Dokumentarfilmer Andres Veiel hat als Autor und Regisseur seines Theaterstückes «Das Himbeerreich» am Deutschen Theater Berlin über deutsche Banker gesagt: «Ich habe die generelle Erfahrung gemacht, dass es immer schwieriger wird, an den Zentren der Macht dokumentarisch zu arbeiten. Durch zwischengeschaltete PR-Agenturen und durch ein gewachsenes Misstrauen gegenüber jeder Art von Transparenz ist das kaum noch möglich. Wenn es über die reine Selbstdarstellung von Erfolgen hinausgehen soll, wenn Entscheidungen hinterfragt oder wenn Machtzentren transparent gemacht werden sollen – dann merke ich, dass ich mit der Kamera dort nicht mehr reinkomme. […] ‹Das Himbeerreich› wäre dokumentarisch undenkbar gewesen. Niemand, der mit mir gesprochen hat, hätte das auch vor einer Kamera erzählt. Daher also ein Hoch auf das Theater – die Bühne ist genau der richtige Ort für diesen wichtigen Stoff.» Allein aus diesem Hinweis ließe sich mindestens ein weiteres Theater-Produktions-Team und -Haus grundsätzlich neu erfinden!

Die Herausforderungen in der Beziehung zwischen Literatur und Bühne liegen ja tatsächlich nicht darin, immer neue, nach jahrhundertealten Maßstäben «bühnentaugliche» Dialoge zu erfinden – sondern Theater als Format-Angebot für Autoren, als Portal für Wichtiges und Intensives zur Verfügung zu stellen, nutzbar zu machen. Für die, die etwas zu berichten, darzustellen, auszudrücken haben: Wissenschaftler/innen, Journalist/innen, Philosoph/innen, Biograf/innen, Aktivist/innen, Spezialist/innen – und Künstler/innen. Wie und wo, wenn nicht wenigstens im und mit Theater, sollen die unendlich vielen regionalen, sozialen, sprachlichen, fachlichen und globalgesellschaftlich ebenso risiko- wie innovationsträchtigen Parallelwelten miteinander verknüpft, verbunden, gedanklich und bildlich erlebt, sozial und psychologisch gelebt, ihre Soziolekte, Ethnolekte, Dialekte, Programmier- und Fachsprachen verständlich und durchlässig gemacht werden – im szenischen Verstehen, im Bilder-Finden, in direkter und immer interaktiver Live-Kommunikation?

Szenisches Verstehen, empathisches Erleben, eine Differenzierung von Glauben und Wissen, von Meinen, Kommentieren und Klicken sind unter die Räder einer rein sprachlichen, manchmal noch gedruckten, zunehmend digitalisierten Informations- und Wissensvermittlung gekommen. Diese Digitalisierung nicht nur als unhandliches Reklametool für Altes Theater zu verstehen, sondern als eigene Form eines Neuen Theaters, wäre ein weiterer lohnender Anfang. Das große neue digitale Gedächtnis hält genug vom Alten fest.

Es könnte jetzt mal wieder jemand aufhören, sein Lebenswerk und seinen Erbhof zu retten, #Regietheater und #Werktreue zu debattieren – und riskieren, (sich) Raum und Zeit und Hirn und Geld für Neues zu geben und zu nehmen.

Carsten Werner, April 2014

 

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Nachtrag, Herbst 2014:

oder so?

Leviten und Kaffeesatz gelesen: Kultur(politik) braucht Konkurrenz, Konzepte und Kommunikation, Kritik und Kriterien

In Ideenwirtschaft, Kunst, Politik, wörtlich! on 14. Dezember 2012 at 19:00

Liebe Kulturtreibende und KunstgenießerInnen,

„Leviten und Kaffeesatz lesen“ sollten uns Sönke Busch, Jochen Bonz, Christina Vogelsang, Renate Heitmann und Arie Hartog am 5. 12. im Gerhard-Marcks-Haus, Impulse für grüne Kulturpolitik haben wir uns gewünscht und in fünf nachdenklichen, so kritischen wie inspirierenden Reden bekommen.

Nun lässt sich aus 120 Minuten Veranstaltung und individuellen nächtlichen Nachbereitungen schwerlich ein kulturpolitisches Programm ableiten. Wir wollen deshalb weiter arbeiten und die Diskussionen fortsetzen. Dazu werden wir im neuen Jahr ein Blog einrichten, auf dem das geschehen kann – und sicher „viel Kaffee trinken und besprechen“, wie es im Lauf der Debatte hieß.

Zu den drei großen Themenkomplexen Teilhabe und Inklusion, kulturelle Bildung und Kompetenz sowie der gesellschaftlichen Lage vor allem des kulturellen Nachwuchses – die unsere politische Arbeit ja auch jenseits der Kulturpolitik intensiv beschäftigen – haben sich aus meiner Sicht folgende Herausforderungen und Denkansätze aus unserem Treffen herauskristallisiert, die wir weiter diskutieren und entwickeln sollten:

–         Die Nachwuchsförderung beginnt mit der Wahrnehmung und Akzeptanz von Kulturformen und Kulturtechniken auch der nachwachsenden Generationen; das gilt für die kulturelle Bildung, das Leben in Alltags- und Freizeitkulturen sowie für die Märkte der Kulturwirtschaft (wie Kino, TV, Buchmarkt, Spiele und Internet) gleichermaßen.

–         Kultur ist in der Gesellschaft „angekommen“ und ist inzwischen selbstverständlicher Teil auch der Stadtentwicklung, der Bildung, der sozialen Inklusion und des Wirtschaftslebens. Kunst, Kreativität und Kulturpolitik dürfen sich in diesen Bereichen weder verbiegen noch ihre Eigenart verwässern; sie sind nicht die gesellschaftliche Pannenhilfe. Vielmehr müssen sie selbstbewusst um ihre Ansprüche, Identitäts- und Qualitätskriterien ringen, auch für ihren eigenen sozialen Status kämpfen.

–         Lese-, Schreib- und Medienkompetenz sind Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie – kulturelle Bildung ist deshalb ein wesentliches Element zeitgemäßer Bildungspolitik. Künstler und Kreative können dazu ihre Kunstfertigkeiten, ihre Maßstäbe und Ideen beitragen – sie dürfen und können aber nicht Pädagogen ersetzen.

–         Teilhabe bedeutet auch im kulturellen Bereich Anerkennung, Akzeptanz, Kommunikation und Wahrnehmung.

–         Es gilt eine Krise der Kritik, mehr vielleicht noch eine „Krise der Kriterien“ zu überwinden.

Die größte Herausforderung für eine erfolgreiche Kulturentwicklung und Kulturpolitik in diesem umfassenden Sinne scheinen mir die vielfältigen disparaten Scheuklappen- und Tunnelperspektiven, Befindlichkeiten und Interessenslagen (und auch Desinteressenslagen) der einzelnen Sparten- und Institutionen-Ebenen in Kultur und Politik zu sein. Denn Kulturpolitik, Kulturentwicklung zumal, können nicht politische Parteien betreiben: Wir sind angewiesen auf Ideen, Impulse, Forderungen all derer, die sich für Kunst und Kultur interessieren und sie konsumieren – wie und warum auch immer. Kulturverwaltung kann erst verwalten, was ist.

Deshalb brauchen wir neue Diskursfreude und Streitkultur, eine Perspektivendebatte über Kunst und Kultur. Kultur muss sprechfähig sein – wie alle anderen gesellschaftlichen Interessengruppen und –vertretungen auch. Die Frage „Was wollt Ihr denn?“ richtet sich an alle, die Kultur wollen. Zu ihrer Beantwortung braucht es Konkurrenz, Konzepte und Kommunikation, Kritik und Kriterien!

Warum ist aktuelle Kulturpolitik – von der konkreten Förderung künstlerischen Nachwuchses und kultureller Netzwerke über die Erhöhungen und Verbesserungen der Projektförderung oder das Einrichtungs-Contracting bis hin zur Sonntagsöffnung der Bibliotheken oder der Raumsuche für Theaterlabor, Wilde Bühne oder Zuckerwerk, um einige wichtige grüne Anliegen zu benennen – in der Szene so wenig bekannt? Warum wird in Bremens Kunstszene über Bauten und Beraterverträge gestritten – und so wenig über Konzepte? Hat denn wirklich niemand – über die direkt und persönlich Engagierten, Betroffenen und Verantwortlichen hinaus – in Bremen Interesse und Ideen für die Zukunft des Überseemuseums, der Weserburg, der GAK, der Städtischen Galerie oder der Kultur in der Überseestadt? Schon in der Diskussion, allein in einem Wettstreit der Ideen über diese öffentlichen Angelegenheiten liegen unendliche Potentiale der Teilhabe und Erkenntnis, der kreativen Betätigung und Auseinandersetzung, der Kultur- und Stadtentwicklung!

Ist die immer wiederkehrende Klage einzelner Künstler und Kulturschaffender über fehlende Aufmerksamkeit durch die Politik nicht auch eine Klage über fehlende Aufmerksamkeit der Szene selbst, des Publikums und der Medien? Müssen, sollten, können PolitikerInnen dieses Defizit kompensieren? Würde es der Szene, der Kritik, dem Diskurs, den Ideen aufhelfen, wenn sich ein paar PolitikerInnen ein paar mehr Bilder, Konzerte, Inszenierungen ansähen? Ich glaube nicht, dass sie im Kulturpublikum unterrepräsentiert sind – weder KulturpolitikerInnen noch die VertreterInnen der vielen anderen Politikbereiche aller Parteien. Wir müssen und können die Rahmen für Kreativität und Kulturvermittlung verändern – durch verbesserte, transparentere Vergabeverfahren, durch Kommunikation, durch Finanzierungen und die Bereitstellung von Räumen, durch das Erkennen und Stärken von Entwicklungen, natürlich auch durch das Hinterfragen von Etabliertem, das Provozieren von Neuigkeiten, das Stützen von Waghalsigem, Vorsichtigem und Visionärem.

Darüber lasst uns auch 2013 weiter diskutieren und streiten!

let’s talk about … Kunst. Überseestadt. Kunstpolitik. Stadtkunst. Kulturstadt. All das!

In Kunst, Politik, wörtlich! on 27. November 2012 at 00:06

Ein Interview mit der taz zur Sitation des Museum Weserburg, der Gesellschaft für aktuelle Kunst, der Förderung und Präsentation zeitgenössischer Kunst in Bremen und zur Rolle von Kunst und Kreativen in der Überseestadt:

http://www.taz.de/ORTE-DER-GEGENWARTSKUNST/!106179/

„Ich finde sinnvoll, wenn in Bremen öffentlich darüber nachgedacht wird, wie in Zukunft mit zeitgenössischer Kunst umgegangen werden soll. Und ich halte die Auseinandersetzung darüber für notwendig, was in der Überseestadt geschieht, wie sich dieser Stadtteil weiter entwickelt und welche Rolle darin Kultur und Kreativwirtschaft spielen sollen.“

„Da gehören viele Fragen dazu: Wo, wie und von wem und für wen zeitgenössische Kunst entsteht und präsentiert wird. Wie es um die Kunst im öffentlichen Raum steht. Wie bremische und internationale Künstler hier auftreten. Vielleicht auch, ob wir eine staatlich betriebene, geleitete und kuratierte Galerie brauchen.“

Stadtteilbesuch der Grünen bei den Privattheatern in der Bremer City

In Ideenwirtschaft, Kunst, Stadt on 19. April 2012 at 19:41

Mit der „Schaulust“ am Güterbahnhof, dem Figurentheater „Mensch, Puppe“ in der Schildstraße, dem „Fritz“ am Herdentorsteinweg und dem „Bremer Kriminaltheater“ in der Friesenstraße sind in der jüngeren Vergangenheit gleich vier neue Theater direkt in der Bremer City gegründet worden. Ralph Saxe, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, und der kultur- und stadtentwicklungspolitische Sprecher Carsten Werner haben die Privattheater in der Bremer City – neben den neuen auch das Theaterschiff Bremen und das Musicaltheater – im Rahmen eines Stadtteilbesuchs besichtigt und mit deren Leitungen über ihre Situation gesprochen.

Wichtige Impulse fürs Stadtmarketing und die freie Theaterszene

„Hier ist, von Politik und Verwaltung fast unbemerkt, eine kleine eigene Branche entstanden, die Bremen als Kulturstadt und Standort der Kreativwirtschaft gut steht und gut tut“, fasst Ralph Saxe die Eindrücke zusammen: „Je mehr Angebote Bremen bieten kann, desto attraktiver wird die Stadt für Besucher von nah und fern.“ „Besonders beeindruckt hat mich, dass die Theater sich gegenseitig und auch die öffentlich geförderten Theater in direkter Nachbarschaft nicht als Konkurrenz, sondern als Belebung im kreativen Wettbewerb und als Bereicherung des Theaterstandortes insgesamt sehen“, freut sich Carsten Werner. Die Betreiberinnen und Betreiber der „Schaulust“ sehen sich gar nicht zuvorderst als Veranstalter, sondern bieten privat-gemeinnützig wichtiges KnowHow, wichtige räumliche und technische Infrastruktur für Solisten, StraßenkünstlerInnen und andere Gruppen der freien und der kommerziell arbeitenden Performance- und Theaterszene. Überhaupt werden die langjährigen Erfahrungen des Musicaltheater Bremen und des Theaterschiffes werden dabei durch die Neugründungen um neue Facetten, Ideen und Geschäftsmodelle ergänzt. „Da die Betreiberinnen und Betreiber dabei neben ihrer künstlerischen Mission auch persönlich einigen wirtschaftlichen Mut aufbringen, unterstützen wir sie gerne bei ihren Bestrebungen für eine gemeinsame Kommunikation und öffentliche Wahrnehmung ihrer Angebote“, ergänzt Ralph Saxe. Die rot-grüne Koalition hat sich festgelegt, Privattheater nicht mit öffentlichen Mitteln zu bezuschussen. „Selbstverständlich freuen wir uns aber sehr, dass die Theater zum Image Bremens und zur Aufenthaltsqualität und kulturellen Vielfalt in Bremen unterhaltsame Beiträge leisten“, findet Carsten Werner.

Ideen für gemeinsamen Auftritt

Die beiden Abgeordneten der Grünen unterstützen daher die in einem ihre Besuche abschließenden Rundgespräch entwickelten Ideen für gemeinsame Marketingaktionen. Knut Schakinnis, Betreiber des Theaterschiffes und als neuer privater Betreiber des Packhaustheaters im Gespräch, schlug eine gemeinsame Bremer Theater-App vor, die Spielpläne, Zusatzinformationen, Videos oder Songs und vor allem auch Ticketbuchungen für alle Bremer Theater per Mobiltelefon zugänglich macht. Christopher Kotoucek und Tim Kulke, die Betreiber des „Fritz“ am Herdentorsteinweg, regten ein gemeinsames Festival an. Carsten Werner regte an, diese Idee möglicherweise sogar auf alle Theater auszudehnen und analog zu dem erfolgreichen Angebot der Museen eine jährliche „Lange Nacht der Theater“ zu initiieren: „In der Bremer Theaterszene ist viel Aufbruch, dazu wird auch die Neuaufstellung des Bremer Theaters beitragen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass Bremen als Theaterstadt auch überregional wieder mehr und besser ins Gespräch kommt. Das sollten wir rechtzeitig auch im Stadtmarketing deutlich machen.“

Neben den eigentlichen Veranstaltungen ist dies auch eine Aufgabe für die Printwerbung der Bremer Wirtschaftsförderung, waren sich die privaten Theatermacher einig. Sie forderten eine angemessene Einbeziehung in die Kultur-Wegweiser-Systeme der Stadt – in Tourismuspublikationen, im Internet und ebenso auf entsprechenden Beschilderungen, betonte Eggert Peters vom Theaterschiff. Carsten Werner unterstützt diese Forderung: „Alle Veranstalter in Bremen gemeinsam machen das Angebot und einen besonderen Reiz der Stadt aus; die Breite des Angebots ist unser Pfund und das Publikum aus Bremen und dem Umland, vor allem aber Bremen-Touristen interessiert ja höchstens am Rand, ob und wie viel Förderung das Haus erhält, in dem sie tolle Inszenierungen, Schauspiel und Musik erleben.“ Deshalb wollen sich Saxe und Werner sowohl in der Kultur- als auch in der Wirtschaftsdeputation dafür einsetzen, dass alle Kulturanbieter gemeinsam und gleichberechtigt beworben werden. „So würden wir an die kleinen Unternehmen ein Stück ihrer Leistungen für das Image Bremens zurückgeben und die Aufmerksamkeit potenzieren“, ergänzt Ralph Saxe.

Geplant sind derzeit ein Kulturkalender, ein Theaterführer, ein zentraler Ticketservice und eine verbesserte Kulturwerbung im Rahmen des geplanten Relaunches von bremen.de. „Ich hoffe, dass wir an der Entwicklung dieser Maßnahmen die Bremer Kreativwirtschaft mit ihren lokalen Kompetenzen aktiv beteiligen können – das wäre ein weiteres Zeichen des Zusammenhalts und ein toller Synergieeffekt“, findet Carsten Werner.

Die beteiligten Theatermacher haben sich nach dem Besuch der Grünen gleich zu weiteren Gesprächen und Aktionen verabredet. Auch die beiden Abgeordneten wollen sich regelmäßig mit ihnen treffen und austauschen – auch in einem erweiterten Kreis, um weitere Kulturakteure und Politik miteinander ins Gespräch zu bringen, füreinander zu sensibilisieren und Formen der Zusammenarbeit zu etablieren.

 

„Kulturinfarkt“ oder „Denkinfarkt“ ? – Ein Streit, der sich lohnt

In Ideenwirtschaft, Kunst, Politik, Stadt on 18. März 2012 at 12:30

Ich verstehe die Aufregung immer noch nicht (ganz): Vier ältere Herren schreiben im Spiegel nicht, dass sie „desubventionieren“ wollen, dass „die Hälfte“ weg soll, sondern regen durch Umwidmung von 2 von 10 Milliarden Euro deutscher Kulturfinanzierung 1. Konzentration und 2. Innovationsförderung an. Kann man da nicht drüber diskutieren, ohne dass es „Freiheitsberaubung“ aus allen Röhren schallert? Ja, ihre Markt-Produkt-Rhetorik klingt hart und für mich auch schon wieder gestrig: Aber ersetzt man diese Instant-Formeln mal durch Aufgabe/Funktion/Wirkung, meinetwegen auch Qualität, eben: „Gestaltungskraft“ und setzt die in einen gesellschaftlichen, politischen Zusammenhang, dann kann daraus doch was werden? „Erfolg“ kann auch gesellschaftlich sein. Kunst muss nicht „nützen“, aber darf sie nicht auch „nützen“?

Eine tiefe Debatte über die (Ent)Institutionalisierung und (Ent)Musealisierung der Kultur(en) und ihrer gesellschaftlichen Funktionen und Aufgaben finde ich ebenso wichtig wie Kritik an ihrer Ökonomisierung – wobei ich in „realpolitischen Aufgaben“ noch kein grundsätzliches Zeichen für Ökonomisierung sehe, sondern auch für die Empathie, Kompetenz, Wirksamkeit, Zuständig- und Widerständigkeit von Kunst und Kultur.

„Weitblick“ als „unternehmerische Tugend“ zu bezeichnen (wie Niklas Maak in der FAZ eine Schule zitiert, die mit der Debatte höchstens auf symptomatischer Ebene zu tun hat), ist eine Frechheit – aber darum Weitblick abzulehnen, ist Blödsinn: „Weitblick“ ist auch eine künstlerische, auch eine politische Tugend. Und was daran eine „Ökonomisierung des Denkens“, wenn man für Kunst in der Schule ist? Weil „marktorientiertes Denken“ die Sprache „verwüstet“ hat (und wie die Diskussion zeit: wohl auch ihr Verstehen), sprechen und diskutieren wir lieber nicht mehr, sondern schreien nach „Freiheit“? Wir? Hier? Unheimlich.

 

Einer der Autoren des „Kulturinfarkt“ im Deutschlandradio-Interview: „Baut den Apparat um!“

 

Ein nüchterner Blick auf die Entwicklung der Kulturetats und der Kultureinrichtungen in den vergangenen 2,3 Jahrzehnten und kritische Fragen nach der Richtigkeit der Institutionalisierung von allem und jedem sind wichtig.
– Kulturentwicklung muss – neben der Förderung von Kreativität – auch eine Schaffung von Strukturen zeitgenössischer Künste und Kulturen sein; und die finden heute zu nicht unerheblichen Teilen auch im Internet statt, in der Popkultur und im Stadtleben. Das bildet sich in der Wirtschafts-, Sozial-, Bildungs- und Medienpolitik ja durchaus auch deutlich ab – ob Kunstpolitik als relativ neue Querschnittsaufgabe sich da mehr einmischen müsste, kann man diskutieren. Dass sie die Entwicklungen – wie Kunst und Künstler selbst – scharf und klar wahrnehmen muss, ist notwendig und selbstverständlich! Die Innovationen und Impulse jedenfalls kommen aus den Kellern, von der Straße, aus der Technik oft – und aus dem Ausland.
– Die Kulturfinanzierung – und die für Kultur verfügbaren Mittel und auch Aufträge, nicht nur im Rahmen der Kulturförderung – sind in den vergangenen Jahrzehnten so deutlich gestiegen, wie sich die Szenen verbreitert haben. Es ist bemerkenswert und gut, dass sich Innovationsförderung, stadtentwicklerische Maßnahmen, Kultur als Inklusions- und Bildungsangelegenheit auch aus anderen Etats speisen, dass Kultur auch als Wirtschaftsbranche wahrgenommen und befördert wird, auch Künstler über ihre Angebote an die Gesellschaft als „Produkte“ nachdenken können. Ideen und ihre Gestaltung und Durchführung selbstbewusst so zu nennen und zu nutzen, ist nicht verwerflich, sondern ein legitimes Interesse, dass für die Musik-, Buch-, Film-, Medien- und Kunstmärkte auch niemand problematisch findet.
– Klassische staatliche Kulturförderung führt viel zu grundsätzlich geradewegs in die Institutionalisierung von Initiativen und Einrichtungen – oder macht sie gar zur Voraussetzung. Das führt insgesamt zu einer Musealisierung der (in Etats und Stein) sichtbaren und gebauten Kulturlandschaft. Wo das kulturelle Gedächtnis gesichert, Schaffen dokumentiert und so Maßstäbe gehalten werden, ist das wichtig. Eine Fokussierung auf den Bestand und sein allzeit dauerhaftes Bestehen, die Verstrickung von Impulsen in institutionalisierte „Sicherheit“ aber koppelt Kulturentwicklung allzuoft von den wirklichen, wesentlichen, gesellschaftlich relevanten kulturellen Veränderungen und Umbrüchen ab.

Kulturentwicklung, Kulturfinanzierung und Kulturförderung sind verschiedene und gleichberechtigte Aufgaben von Kulturpolitik. Den Kultursektor als subventionierten Arbeitsmarkt zu behandeln, greift zu kurz. Wie die dafür zuständigen Kulturressorts in Deutschland zugeschnitten sind, ist aber immer noch sehr zufällig aus politischen, machttaktischen Beweggründen verteilt: Mal gehören sie zum Regierungschef wie in Bremen und Berlin, mal gehören sie mit Wissenschaft oder/und Bildung zusammen, mal mit Wirtschaft, auch Inneres und Sport hatten wir ja schon. Hier gehört die Soziokultur dazu, dort ist die ganz klassisch Teil der Sozialarbeit, dafür rücken Kultur und Kreativwirtschaft oder Kunst und kulturelle Bildung zusammen. Diese Vielfalt muss wieder einen Sinn bekommen, ein Ziel.

Dazu passt nicht zuletzt:
Koalition der Freien Szene – Offener Brief an die Stadt Berlin – Online Petition.

 

„Das Buch verschenkt die Gelegenheit, einen Streit anzuzetteln, der sich lohnt. Die Ruhe und das phrasenreiche Einverständnis im Kulturpolitischen sind ja wirklich ein Grund zur Beunruhigung. So viel Stille und Konsens herrscht nur, wo große Konflikte und Probleme zugedeckt werden. Zu reden wäre endlich über eine Kultur des Aufhörens, des Endes auch von Kultureinrichtungen. Die immer gleichen Argumente gegen Theaterschließungen etwa – bringt wenig, schadet viel, ist banausisch – ändern nichts daran, dass viele Kommunen die Mittel für ihre Theater kaum aufbringen können. Ist der Bestandsschutz immer gerechtfertigt und die beste Lösung für die Bürger der Stadt?“
Jens Bisky in der Süddeutschen: „Der Kulturinfarkt“ – Lieber ein Streit, der sich lohnt

„Niemand wird ernsthaft behaupten, die üppigen Subventionen für Theater, Opern und Museen führten ausnahmslos zu kulturellen Höchstleistungen. (…) Kaum jemand außer Klaus Wowereit, der sie plante, wird begründen können, warum Berlin noch eine neue Kunsthalle braucht, wo man dort schon vier unterfinanzierte Quasi-Kunsthallen betreibt. Natürlich fragt man sich angesichts der uniformisierten großen staatlichen Ausstellungshallen, die die altbekannten Hits der klassischen bis neueren Moderne in immer matteren Aufgüssen servieren, ob es nicht besser wäre, die zahlreichen kleinen, von Künstlern selbstorganisierten lokalen Ausstellungsorte zu fördern, an denen Gegenwartskunst viel besser gezeigt wird. Und niemand wird bestreiten, dass die Subventionsbürokratie viel zu behäbig ist und reformiert werden muss. (…) Aber all das reicht – eben weil es keine neuen Erkenntnisse sind und weil kaum jemand diesen Punkten widersprechen würde – noch nicht, um ein ganzes Buch zu füllen.“
Niklas Maak in der FAZ: „Der Denkinfarkt“

„Der Kulturbetrieb reagiert auf den Text bislang so, wie Throninhaber von je her auf Kritik reagieren: Sie wittern Majestätsbeleidigung! (…) Auf allen Wellen und aus allen Ecken des Kultur-Landes schallt es: “Verrat! Verrat! Verrat!”. Hätte es eines letzten Beweises für die Sprengkraft des Buches bedurft, wurde er heute erbracht: Bereits vier Tage nach dem Aufkommen des sperrigen und für den Boulevard gänzlich unsexyen Themas “Kulturförderung” landet die Debatte in der „Bild“-Zeitung – mit den erwartbaren Folgen für die öffentliche Wirkung wie das intellektuelle Niveau (…). Die vier Autoren schreiben in Buch (zur Erinnerung: einer”Polemik”) und Zeitschrift aber ganz unmissverständlich, dass die zahlenmäßige Halbierung der öffentlichen Kultur-Einrichtungen gar keine Halbierung der Ausgaben bedeute (…): Statt immer mehr Geld für das immer gleiche Kulturangebot auszugeben, solle mit dem gleichen Geld mehr Vielfalt in der Kulturlandschaft entstehen. (…) Dabei ist die Diskussion überfällig: In wohl keinem anderen politischen, ökonomischen oder gesellschaftlichen Sektor der Republik hat es in den letzten vierzig Jahren ein solches Wachstum von Institutionen und Mitteln gegeben.“
Der kulturpolitische Reporter: Die Kaste der Unantastbaren und der Kultur-Infarkt

 

Bild.de über den bayerischen „Kunstminister“ (so heißt er dort!): Wolfgang Heubisch (FDP) warnt vor „Kulturpolitik mit Rasenmäher“ – dann schon lieber mit der Gießkanne: „Welches Theaterensemble und welchen Musikschullehrer wollen sie denn nach Hause schicken?“

Kürzungen schmerzen und da darf man auch schreien – gerne noch viel mehr. Das tun ja andere Lobbyisten und Interessenvertreter und -haber auch.  Über einen Umbau muss man trotzdem immer weiter reden – und der hieße wohl auch nicht einfach nur „den Großen nehmen, den Kleinen geben“; da würden die Kleinen einfach ratzfatz groß und gewonnen an Kunst, Erkenntnis, Erbauung, Impulsen wäre (fast) nix. Denn es geht nicht um „klein“ oder „groß“ – es geht um Mobilität, um Temporarität, um Teilhabe, um Beziehungen.

Letztlich betrifft das Thema nicht nur die Kultur, sondern viele „gewachsene Strukturen“, „Trägerlandschaften“, Institutionen …

Zahlen statt Kopf

In Kunst, Medien, Politik, Welt on 22. Oktober 2011 at 14:09

Das ist in der Tat unzurechnungsfähig, gaga, peinlich und vielsagend, wie’s die Ableger eines deutschen öffentlich-rechtlichen Senders gemeinsam mit Koryphäen wie Hilary Swank, Jean-Claude van Damme, Kevin Costner, Vanessa Mae (!!) und Heidi-Klum-Mann Seal schaffen, der Welt zu zeigen, was viele eh fürchten: Dass sie so viel Grips und politische Haltung haben wie Lothar Matthäus und Diego Maradona:

Bärendienst fürs Image von Künstlern

Warum auch politisch bewandert sein oder alternativ mal kurz bei Wikipedia nachschlagen, wenn man auf Freundschaft mit kriminellen und nicht nur halbseidenen Präsidenten macht und die Kohle stimmt. Andererseits: Wer würde sonst noch mal erfahren, dass es noch deutsche Fernsehbalette gibt – und wo könnten sie noch auftreten, wenn nicht in Hinterweltlers guter Stube?

Vielleicht wärs zur Vermeidung solcher Deppertheiten mal angesagt, auf solche Nasen im deutschen TV mal eine Zeit lang zu verzichten und stattdessen politische Kultur und Kunst zu finanzieren.

Bürgerbaubeteiligung

In Politik, Stadt on 11. Mai 2011 at 09:13

Nach Jahren, Jahrzehnten soll der Platz vor dem Bahnhofsvorplatz in Bremen bebaut werden. Jahrelang lag das Gelände brach, jahrelang war es durch tausende Fahrradständer verziert, zuletzt war es gestaltet und gelegentlich belebt von einigen Skatern. Nun soll die Fläche bebaut werden – nach einem architektonischen Entwurf, der schon einmal Sieger bei einem Architekturwettbewerb für das Gelände war, entsprechend städtischen Grundrissen vergangener Jahrhunderte, nach dem langgehegten Plan des Grundstücksverkaufs an einen Investor. Zweimal sind zuvor Investoren abgesprungen. Jetzt scheint die Zeit günstig: Entwurf, Investoren und politischer Wille treffen zusammen – gestärkt von der Notwendigkeit, dem langsamen Verfall der Bahnhofsvorstadt etwas entgegenzusetzen. Nun kann und soll geplant und gebaut werden.

Doch nun regt sich Protest: Was man da nicht alles machen könnte: Grünanlage! öffentlicher Raum! Aufenthaltsqualität! rufts aus den Reihen der Gegner etwa bei einer Veranstaltung des „Bremer Stadtdialogs“ des Zentrums für Baukultur gestern Abend im Speicher XI – und natürlich „Gentrifizierung!“ und „Bürgerbeteiligung!“.

Mal angesehen davon, dass sich die Bürgerbeteiligung an diesem Abend der Diskussion über ein – nach Bürgereinwänden und -anregungen – überarbeitetes architektonisches und stadtplanerisches Konzept weitgehend auf die Statements von Politikern verschiedener Parteien und Wählerinitiativen beschränkte: Nicht eine Idee wurde formuliert, was auf diesem Platz denn nun stattfinden möge statt einer Bebauung. Keine Idee. Es ist auch schwer: jeweils ein paarhundert Meter weiter finden sich in verschiedenen Himmelsrichtungen
– der Bürgerpark,
– die Wallanlagen als Innenstadt-Park,
– die Weser mit der (noch fast) neu gestalteten Schlachte, Fähre, Wiesen, Café Sand,
– der ehemalige Güterbahnhof als Zentrum von Kreativwirtschaft, Kunst, Avantgarde- und Subkultur,
– das Kulturzentrum Schlachthof, u.a. mit Außengelände und einer Skater-Anlage.
Auch wer den „Platz der deutschen Einheit“ vor dem Überseemuseum nicht wirklich als Ruhepol und Erholungszone verstehen mag, hat also manche Möglichkeit zum Ausspannen oder zu aktivem Stadtleben.

Skater waren nicht anwesend oder meldeten sich jedenfalls nicht zu Wort. Die Frage, wohin sie demnächst könnten (mein Vorschlag: an den Güterbahnhof) – stellt aber keiner. Die Frage, wo genau denn der Senatsbaudirektor nach Flächen für einen neuen ZOB sucht – stellte niemand. Fragen nach Stadträumen wie dem Gleisgelände hinter dem Güterbahnhof auch nicht. Dass der kostbare öffentliche Raum des eigentlichen Bahnhofsvorplatzes alljährlich mit Bürgerparktombola-Trash zugemöbelt und obendrein akustisch verschandelt wird – kein Thema? Immerhin die verbaute Bürgerweide und der verparkte „Willy-Brandt-Platz“ wurden kritisiert – ohne Lösungsvorschläge.

Das muss besser werden!

Wer „Vertreibung“ zur Gefahr ausruft, sollte schon sagen können, für welche Vertriebenen er da spricht. Und wer in schräger Analogie zum Stuttgarter Bahnhofsbau mit „Bremen 21“ dräut, der muss sich schon fragen lassen, ob er da nicht die tektonischen, ökologischen und sicherheitstechnischen Sorgen von Stuttgarter Bürgern für einen simplen Bremer Hausbau an einem dafür vorgesehenen Ort missbraucht, der schon heute weder besonders intensiv belebt noch großartig gestaltet ist und eigentlich keine interessanten Perspektiven bietet – abgesehen vom Blick auf die oder von der Hochstraße. „Öffentlicher Raum“ ist keine Forderung. Und „Bürgerbeteiligung“ braucht, wenn sie denn wirklich auf Demokratie und Stadtleben zielt, Bürger – und vor allem deren Ideen. Die können Entwicklern und Politikern bei der Verbesserung der Pläne für eine durchlässige, integrative Stadt helfen – wie man am überarbeiteten Entwurf für die Gebäude sehen kann. Aber ohne Ideen, Impulse und Interesse bleiben politische Zeitgeistvokabeln leer und langweilig.

Ai Weiwei seit einem Monat verschwunden: Suchen Deutsche Kultur-Funktionäre immer noch ihre rote Linie?

In Politik, Welt on 3. Mai 2011 at 16:01

Was deutsche Kulturfunktionäre mit verengtem Blick auf den eigenen Ruhm oder auch nur auf das Wohlergehen der „eigenen“ Institution für einen Scheiß reden können!

Fast zwei Wochen nach der Verhaftung  und Verschleppung von Ai Weiwei vom 3. April schloss der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Michael Eissenhauer, am 14. April erstmals (!) einen Abbruch der Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ in Peking, in deren mindestens zeitlichem und inhaltlichem Kontext die Verhaftung steht, „nicht mehr aus“. Aus diesem Anlass schwadroniert der deutsche Funktionär von einer „roten Linie“:  Wenn diese überschritten werde, werde die Ausstellung abgebrochen. „Wir sind auf das Szenario vorbereitet, die Ausstellung nicht unter allen Umständen weiterlaufen zu lassen.“ Wobei er in dem Interview mit der Nachrichtenagentur dapd nicht sagte, wo diese Linie verlaufe („Das kann ich jetzt noch nicht direkt benennen“) und wie und wann sie überschritten wäre.

Heute, einen Monat nach der Eröffnung der Ausstellung und der Verhaftung des Künstlers, der nach wie vor verschollen ist, suchen die deutschen Museumsdirektorn jedenfalls offenbar immer noch nach dieser „Linie“.

Für eine Abschaffung des Eintrittspreises in die 10 Millionen Euro schwere, aber offenbar nicht sehr willkommende und dazu noch erfolglose Ausstellung (wegen laut Nachrichtenagentur dapd hoher Eintrittspreise, wenig Werbung und mangelhafter Ausschilderung) aber will sich E. jetzt verstärkt engagieren – während sich im Fall Weiwei weltweit Künstler für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen. Darüber hinaus ist der Museumsdirektor von der Verhaftung „zutiefst frustriert. Es ist für mich ein tiefer Schmerz. Damit wurden nicht nur wir Museumsleute, sondern auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der die Ausstellung ja
eröffnet hat, brüskiert. Allerdings sehen wir keinen direkten Zusammenhang zwischen der Ausstellung und der Festnahme Ais. Er war zur Eröffnung und den Dialoggesprächen im Zusammenhang mit der Ausstellung eingeladen. Wir hätten gewusst, wenn er nicht zugelassen worden wäre. Die Festnahme entspricht natürlich nicht dem, was wir unter der Freiheit des Künstlers verstehen. Wir erwarten schon einen anderen Umgang der Chinesen mit diesem Thema. Selbstverständlich fordern wir die Freilassung Ai Weiweis.“

Das muss man sich alles mal auf der Zunge zergehen lassen:
– Dass da ein Mensch entgegen aller rechtsstaatlichen Prinzipien, entgegen aller Menschlichkeit einfach von der Bildfläche verbindet – das gefährdet nicht etwa dessen Leben, das sagt auch nichts über den geschäftspartner China, sondern: Das „brüskiert“ IHN, den deutschen Museumsdirektor!
– Er spricht nicht vom Schicksal des Künstlers, sondern von „diesem Thema“,
– … sieht „keinen direkten Zusammenhang“ zwischen Kunstausstellung und Künstler in ein und demselben Land zur selben Zeit zum selben „Thema“, der Aufklärung nämlich,
– … „hätte“ schließlich „gewusst“, wenn da was nicht stimmt.
– und fordert „selbstverständlich“ die Freilassung.

Nicht mehr: Nur „selbstverständlich“, ohne „direkten Zusammenhang“ und entgegen den eigenen Erkenntnissen fordert er also halt, was alle eh gerade erwarten.

„Menschen, die in totalitären Staaten aufwachsen, sind geübt, Signale zwischen den Zeilen
wahrzunehmen“, beruhigt sich Eissenhauer beim Plädoyer für seine Ausstellung. Weil das stimmt, sollte man jenen Menschen sein Gequatsche über technische Probleme, freie Diskussion unter Eingeladenen, finanzielle Risiken und und und … ersparen!

Lasst endlich Künstler sprechen!  Ai Weiwei und Gregor Eissenhauer zeigen, wie wichtig das ist.

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