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Archive for the ‘Stadt’ Category

Hallo Nachbarn, Dankeschön!

In Ideenwirtschaft, Stadt on 9. Mai 2015 at 17:47

Sönke Busch for Nachtbürgermeister!

Vor vier Jahren habe ich als ganz frisch gebackener Abgeordneter (und frisch wiederaufgebackener Viertelbewohner) mit einigen Nachbarn, aufgelösten Passanten, verunsicherten PolizistInnen, durchgeknallten Randalierern und deeskalierenden Jugendlichen mehrere Nächte – nach der Breminale​ und dem „Viertelfest“ – an der Sielwallkreuzung verbracht und wir waren sehr, sehr unsicher und ratlos, wie man der Dynamik aus Partylust und Alkohol, Radau und Randale, Musik und auch Gewalt begegnen kann oder sollte, die sich da Bahn brach.

2 Nächte vor dem Ende dieser Wahlperiode haben das Viertel und seine Besucher jetzt ein Zeichen gesetzt, dass das und vielleicht auch wie das gehen könnte: Mit etwas weniger Halligalli, mit etwas weniger Alkohol, mit Spaß UND Verantwortung, mit kreativen UND kommerziellen Anliegen – in vielen Schattierungen, mit viel Auseinandersetzung und Diskussion, mit viel Verantwortungsbewusstsein, bestimmt auch mit etwas Glück.

Ich habe noch nicht wirklich verstanden, was da in der vergangenen Nacht passiert ist und zu erleben war: An Ruhe UND Amüsierbedürfnis. War das eine Demo? Ein Go-In, ein unplugged-Fest? Selten waren die Wohnstraßen so ruhig – weil es kaum noch Verkehr gab. Selten war das Gegröle so wenige bedrohlich. Selten war der Dreck so schnell (fast) wieder weg. Es gab wenige und um so wichtigere Szenen und Bilder:

• Die vorsichtige temporäre „Aneignung“ des Straßenraums.

• Die sensible Bereitschaft und entspannte Haltung der Polizei.

• Das konsequente „Musik nur drinnen“-Konzept.

• Der offene, freie, leere, nur von Menschen bevölkerte Straßenraum ohne Bühnen-Buden-Banner-Trara – ein „autofreier StadTraum“ ;-)

• Die großen Haufen NICHT geworfener, sondern sorgfältig am Straßenrand abgelegter Flaschen.

• und, für mich die Szene und das Bild dieser Nacht, genau wie ich es mir erwünscht und erhofft hatte: Die die Sielwallkreuzung fegenden Wirte und Veranstalter – hier aufgenommen von Andrea Bischoff von der veranstaltenden Initiative „Kulturschutzgebiet“:

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Apropos „Kulturschutzgebiet“: Der „Erhalt der kulturellen Vielfalt“ entscheidet sich sicher nicht im Bremer Viertel. Ich glaube auch nicht, dass dieser Kulturbegriff (der nur einer von ganz vielen und nur ein ausschnitthafter ist) sich von der Kommerzialität des Viertels wirklich trennen lässt. Deshalb geht es meiner Meinung nach auch weniger um „Schutz“ und Unterschutzstellung, als um eine Verständigung der Bewohner und Nutzer dieses Stadtquartiers. Die vergangene Nacht hat gezeigt, was eigentlich jeder weiß: dass die Kulturbegriffe sehr weit gefasst sind, dass vielleicht auch jeder seinen eigenen hat – dass man das auch niemandem vorschreiben kann und sollte, was wessen Kultur zu sein hat. Und dass man sich seine Gäste im öffentlichen Raum nicht aussuchen und in Gute und Böse, Angenehme und Unerwünschte sortieren kann, versteht sich von selbst, oder? (Anders lesbare Äußerungen würde ich gerne dem Hype und der Nervosität um das unkontrolliert anschwellende Event zuschreiben – ernstgenommen wären sie kulturell grenzwertig und ökonomisch bigott …)

Natürlich ging es vielen der Besucher nicht um die einzelnen Musikevents – wahrscheinlich zum Glück; denn dann hätten die geringen Zuschauerkapazitäten in den Locations für böse Enttäuschung gesorgt. Aber ist das schlimm? Ich glaube, es hat sich gezeigt, dass weniger Musik open air, weniger Alkohol open air und weniger Aufregung, angestrengte Ambition und hyperventilierte Erwartung bei Veranstaltern, Polizei und Stadtteilpolitik eben auch deeskalierend wirken können.

Also was war das jetzt? glückliche Fügung, weil alles gut gegangen ist? Vielleicht haben klare, ehrliche Interessen eine wichtige Rolle gespielt. Denn was gesagt wird, kann man einschätzen. Und das ist Arbeit. Da kann der riesengroße Rest der Kulturszene viel von abgucken!

Sönke Busch hat über Wochen immer wieder die Diversität und Hybridität des Viertels, des Stadtlebens überhaupt und der Stadt- und Viertel-Nutzungen empathisch und genau herausgearbeitet, beschrieben und erlebbar gemacht. Ich habe in den vergangenen Wochen ja immer wieder vorgeschlagen, das Modell des Amsterdamer „Nachtbürgermeisters“ auf Bremen zu übertragen. Das wäre natürlich keine neue Behörde, kein neues Amt, sondern ein Partyversteher, Szenesprecher, Quartiersvermittler, Behördenberater. Die Viertel-Gastronomen sind dafür vor ihren eigenen Häusern schon ein gutes Beispiel. Heute Morgen dachte ich: Ist Sönke nicht schon längst unser Viertel-Nachtbürgermeister?!

Ich weiß nicht, ob das ein wiederholbares und wiederholenswertes Event war? Das „neue Viertelfest“? Eher nicht. Aber auf jeden Fall war es ein tolles, verstörendes, letztlich ruhiges Zeichen – für Diskurs, für Nachdenken und Reden. Denn das Viertel muss seinen Weg finden. Dafür gibts keine Gesetze. (Warum dabei Flaschen fliegen müssen und warum Idioten dazu Böller brauchen, werde ich persönlich nie verstehen. Selbst der Reiz der Masse überträgt sich so gar nicht auf mich selbst.) –  Aber die Diskurslust und die Diskursfähigkeit der Kneipenszene, der Musikszene und der Viertelbewohner – die lassen mich den Wahlkampf und meine erste Legislaturperiode als Bürgerschaftsabgeordneter mit einem dicken DANKE beenden an diese Stadt und alle ihre Viertel und Quartiere, die miteinander reden und streiten, die miteinander Wege suchen und auch mal mutig und innovativ ausprobieren.

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Mehr … Grau wagen!

In Ideenwirtschaft, Kunst, Politik, Stadt on 27. März 2015 at 12:11

„Schlafstadt“ oder „Kulturstadt“ – wo ist der Widerspruch?

„Wohnen“ oder „Kultur“, „Bürger“ gegen „Feiern“, „Ruhe“ vs. „Leben“ – gar von „Krieg“, „Vertreibung“ und „Vernichtung“ war die Rede in den letzten Tagen: „bunt“ gegen „bieder“, live – aber leise. Braucht Kultur Wirtschaft – oder braucht Wirtschaft Kultur? Das „Viertel“ bebt. Das „Viertel“ lebt. Und andere Stadtteile wie die Neustadt seien auch „bedroht“. Nicht. Nein, ich meine: Wir brauchen auch in dieser spannenden Debatte etwas mehr Grau statt bösem Schwarz und strahlendem Weiß.

Ich halte das für Quatsch, dass „hier Wohn- & Lebensqualität“ und „da Kultur & Feierbedürfnis“ sich so widersprüchlich gegenüber gestellt werden. Zur Wohn- und Lebensqualität gehört Kultur. Zu den größten Schimpfern gegen Musik und Partylaune gehören auch Künstler, Kultur-Genießer und -Kunden – für die Ruhe und besonders Nachtruhe zu einem kulturvollen Leben dazugehören. Zu Recht. Und für die Partypeople gehört Dauerparty mindestens am Wochenende zu ihrer Kultur. Die Begriffe sind also unscharf geworden.

Der Rücksichtslosigkeit gegenüber Anwohnern wird von einzelnen Anwohnern mit Rücksichtslosigkeit begegnet: Sie klagen – nicht gegen grölende oder randalierende Passanten, nicht gegen röhrende Autos, sondern gegen Gastronomen und Veranstalter. Die wiederum sorgen zwischen diesen Fronten auf der Straße für Ruhe – und in manchem heiß- und vollgelaufenen Kopf für einen Ansatz an Bewusstsein für die städtische Umwelt und die Mitmenschen im Bett nebenan.

Dabei haben alle ein großes und gemeinsames Anliegen und Interesse: Ein lebendiges, quirliges, ein Stück weit unberechenbares, überraschendes „Viertel“ – auch für Gäste aus den anderen Stadtteilen.

Wäre das nicht so, würden sich die einen oder die anderen zurückziehen – den Schaden hätte das Quartier: Es würde nach und nach entweder zur Systemgastronomie-Meile – oder zur Schlafstadt.

Es muss wieder gelingen, das Zusammenleben von Kulturen positiv und nicht störend wahrzunehmen – was wir global postulieren, gilt auch im Quartier. Und Lärm und Dreck (und auch überbordender Kommerz ohne Verantwortung) müssen da identifiziert werden, wo sie entstehen und wo sie Lebensbedingungen, Zusammenleben stören.

Also einmal tief Luftholen, bitte! Der Ton macht die Musik.

“Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn
aber abends zum Kino hast dus nicht weit.“
Kurt Tucholsky

Und jetzt: Reden hilft!

Beschwerden und Klagen von Anwohnern treffen nun ausgerechnet die Lokale, die greifbar und identifizierbar sind, weil ihre Konzerte einen Anfang und ein Ende und eine messbare Lautstärke haben. Die Gastronomen und Veranstalter haben Adresse und Namen – sie sind schlicht ansprechbarer als der grölende Junggesellenabschied, randalierende Hooligans, röhrende PS-Protzer, frustrierte Parkplatzsucher oder nächtliche Toilettenvermisser (huch … hab ich hier vergessen zu gendern, oder haben die Phänomene eine bestimmte Genderspezifik? ;-) ) – und auch ansprechbarer als die Hierarchien der Systemgastronomie oder aus dem Boden schießende und wieder verschwindende Quickshops. Dieses Schicksal der (An-)Greifbarkeit für hörbares Lebensäußerungen und Kunst teilen sie übrigens mit den klassischen Kultureinrichtungen wie Theatern und Kinos, mit Kindertagesstätten und sogar mit Federvieh.

Kinder machen keinen Lärm. Kultur ist keine unzulässige Zumutung. Aber Stadt bedeutet Konflikt: Nutzungskonflikt, Schnittmenge, Begegnung Kollision, Clash. Sönke Busch hat dazu eine wundervolle Rede gehalten.

Dem Stress werden wir nicht mit immer mehr „Rechten“ begegnen können. Neue Grenz- und Messwerte, „Schutzgebiete“ und dergleichen fordern Zeit, Regeln, Kontolle – und werden immer wieder er- oder beklagt werden. Wir brauchen eine neue, erweiterte Kultur des Umgangs. Die Anwohner-Schutzmaßnahmen der Kneipiers und Veranstalter sind dafür ein sehr gutes Vorbild und ein guter Ausgangspunkt: Auf der Straße miteinander sprechen, für Wahrnehmung sorgen. Das heißt nicht: Security. Ich finde zum Beispiel die Idee eines von der Szene gemeinsam gewählten „Nachtbürgermeisters“ interessant, die in Amsterdam und Paris gut funktioniert. Berlin schickt neuerdings Pantomime auf die nächtlichen Straßen. Auch die in verschiedenen Bremer Quartieren ehrenamtlich das Nachtlebens begleitenden „Nachtwanderer“ könnten ein Ansatz sein, ein eigenes Modell fürs „Viertel“ aufzubauen. Vielleicht sind die kursierenden Ideen für „Kulturkioske“ an den alten Kiosk-Standorten am Ulrichsplatz oder am Ziegenmarkt eine weitere Diskussion wert.

Kultur sind auch Fernsehen und Disko, Internet und Fußballbundesliga, Essen und Trinken. Auch Stadtnatur und öffentliche Freiräume. Wir haben dafür einiges erreicht – die ZwischenZeitZentrale leistet einen großen Beitrag dazu in Bremen, ebenso wie verantwortungsvolle und kommunikationsbereite Quartiersgastronomen, das sozial motivierte „Zuckerwerk“ und Urban-Gardening-Projekte wie z.B. am Lucie-Flechtmann-Platz. Was der Streit und die Diskussionen offenbaren: Wir müssen für die Kulturstadt Bremen einstehen!

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Dabei müssen wir all das, was die Digitalisierung mit uns macht, in politische Überlegungen einbeziehen: Denn die Digitalisierung verändert nicht nur die Wirtschaft, den Einzelhandel, die Medienlandschaft und politische Beteiligung. Die selbstverständlich gewordene Digitalisierung definiert auch das Verhältnis von „Privat(heit)“ und „Öffentlich(keit)“ völlig neu. In unseren Veranstaltungen mit dem Stadtarchitekten Jan Gehl und mit dem Architektur- und Kulturjournalisten Hanno Rauterberg haben wir gelernt, wie wichtig das Maßstabsverhältnis zwischen Menschen und Bauten ist – und wie und wo das Gefühl von Privatheit das Erleben und Handeln von Menschen prägt.

Wenn wir also über die Zukunft des Stadtlebens, nicht nur im „Viertel“, sprechen, dann dürfen sich nicht Anwohner und Kneipen, nicht Künstler und Wirtschaft, nicht Gäste und Einheimische unversöhnlich gegenüberstehen: Dann zeigt sich viel mehr, dass unser Zusammenleben empfindlich gestört wird von Verkehrslärm, von fehlender gegenseitiger Rücksichtnahme und Wahrnehmung, von unverständlich und unverbindlich gewordenen Bildern von „Kommerz“ und auch von „Kultur“. Die wieder zu schärfen, bleibt unsere Aufgabe.

Politisch muss Kultur mehr sein als Künstler- und Veranstaltungsförderung: Wir müssen „Kultur“ viel stärker jenseits der bestehenden senatorischen Ressortgrenzen diskutieren. Es geht nicht immer gleich um Umwegrentabilitäten oder Kunstfreiheit  – es geht im eigenen Kiez und Quartier darum, hier zusammen zu leben, gemeinwohlorientiert zu planen, zusammen zu gestalten. Es geht um Empathie, Respekt und Spaß am Leben. Um das zu erkennen, sind Streit und laute Töne gar nicht schlecht. Und viel mehr Grau.

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Anfrage in der Fragestunde der Bremischen Bürgerschaft (April) – Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN:
Bremen ist eine Kulturstadt – in allen Quartieren

Wir fragen den Senat:

1. Welche Stellen sind in Bremen für Beratungen, Genehmigungen, Unterstützung und Konfliktlösungen im Bereich nicht staatlich geförderter Kulturangebote zuständig?

2. Wie bewertet der Senat in anderen Städten eingesetzte sogenannte „Nachtbürgermeister“ oder ehrenamtliche „Nachtwanderer“ als Möglichkeit, die Akzeptanz für kulturelle Angebote in Nachbarschaft zu Wohnbebauung oder zu Industrie- und Gewerbenutzung zu stärken, und welche alternativen Maßnahmen befürwortet der Senat?

3. Wie bewertet der Senat durch Kulturangebote im öffentlichen Raum ausgelöste Verkehrs-, Abfall- und andere Umweltbelastungen und wie könnte denen in den Quartieren besser begegnet werden?

Carsten Werner​, Dr. Matthias Güldner und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

#bremenlernt … von Jan Gehl

In Ideenwirtschaft, Stadt, Welt on 5. März 2015 at 19:07

Wie die Cappucinokultur die Stadtentwicklung prägt.

Wie Menschen ab dem 5. Stock aufwärts den Blick, den Zugang und die Lust auf Straßen- und Stadtleben verlieren.

Warum eine gute Verkehrsplanung wie ein Babyboom aussieht.

Warum ein guter Kultursenator sich für Städtebau, öffentliche Räume  und Verkehr interessieren muss.

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Warum wir alle mehr Italien spielen sollten.

Warum eine sensible, genaue Stadt-Wahrnehmung und Daten, Gutachten, Untersuchungen die Grundlage für Stadt-Planung und gutes Stadt-Leben sind.

Warum wir dafür radikalen Willen und spürbare Maßnahmen brauchen.

Warum Tunnel so 80er, Brücken unpraktisch sind – und wie man mit Rücksicht und Umsicht trotzdem über die Straße und durch geteilte Verkehrsräume kommt.

Das alles und noch viel mehr haben wir von Jan Gehl gelernt, der uns für einen Tag in Bremen besucht und uns seine Ideen für eine menschengerechte Stadtentwicklung nahegebracht hat – für die der Mensch der Maßstab ist und nicht das Auto.

 

Habt Ihr verpasst? – Das lässt sich reparieren. Dafür gibt es ja gute Lokalpresse,   gute Magazine,   gute Buchhandlungen und  gute Netzwerke!

 

Danach ist klar:

Dass die besten Ideen und Inspirationen und die besten Claims von Einzelnen kommen – von Kindern und alten Menschen, von Studierenden und Künstlern, von irgendwie Betroffenen oder Interessierten, aus den Initiativen und den NGOs, in Familien, Unis, Teams und Communities.

Dass Verkehr durch die Stadträume wie Wasser fließt – wo kein Platz dafür ist, zieht er sich zurück.

Dass die Menschen trotzdem und gerade in die Citys kommen.

Dass man gegen städtebauliche Sünden der Vergangenheit nicht auf Erdbeben oder Gewalt warten darf – sondern Ideen und Geld zusammenlegen muss.

Dass Bremens Carsharing „world famous“ ist.

 

Es war uns eine Ehre und ein Vergnügen, Jan Gehl!

 

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Kunst im öffentlichen Raum … ist Stadtentwicklung

In Kunst, Politik, Stadt on 29. Oktober 2014 at 19:29

Kunst im öffentlichen Raum ist eine öffentliche Angelegenheit!

Für einen kleinen Moment wurde groß und breit und laut über Kunst diskutiert in Bremen: Anlass war die mögliche Aufstellung einer privat finanzierten Stadtmusikanten-Skulptur des Künstlers Markus Lüpertz. Leider fand diese leidenschaftliche Diskussion aber erst statt, als Geldgeberin und Künstler ihre Idee verschreckt von der schrillen Aufmerksamkeit schon wieder zurückgezogen hatten: In den Online-Foren von Radio Bremen wurde heftig geschimpft und gewütet – nicht immer dem Kunstwerk und dem Künstler angemessen. Aber das muss Kunst im öffentlichen Raum aushalten.

Ärgerlich finde ich, dass die Diskussion um das Kunstwerk von Anfang an nicht offen war. Offenbar wurde nur ein einziger Standort – vor der Bremischen Bürgerschaft auf dem Marktplatz – ins Auge gefasst, begutachtet, abgebildet, in Aussicht gestellt, wie auch immer: Anfragen und Meinungen machten die Runde, der Präsident der Bürgerschaft und der Bürgermeister äußerten sich öffentlich in den Medien, ohne die Öffentlichkeit oder zuständige Gremien vorher beteiligt zu haben.

Aber die Geschichte der Stadtmusikanten, diese Geschichte von Lebenslust, Aufbruch, Mut und Kreativität, legt nahe, „neue“ Stadtmusikanten an ganz anderen Orten Bremens willkommen zu heißen und zu inszenieren. Nicht 4, sondern 20 Meter groß, könnten die Stadtmusikanten als ältestes multikulturelles Improvisations-Ensemble sichtbares Symbol Bremens sein; am Lankenauer Höft und Pier 2, im Hohentorshafen, am Autobahndreieck in Tenever, am Ohlenhof oder auf dem Utbremer Kreisel – statt als touristischer Knips- und Klick-Anlass die dezenten, schüchternen Original-Tiere von Gerhard Marcks am Rathaus dreist in den Schatten zu stellen.

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Über Kunst darf, muss und soll man reden, verhandeln, streiten und entscheiden. Es gibt dazu Verfahren und Gremien der Beratung und Beteiligung. Warum wurden die in diesem Fall nicht genutzt? Wenn z.B. der „Landesbeirat Kunst im öffentlichen Raum“, der Empfehlungen aussprechen soll, überholt ist, brauchen wir neue, zeitgemäßere Strukturen. Auch die gibt es schon – weil überall die Mittel für Kunst im öffentlichen Raum knapp, die rechtlichen Rahmen uneindeutiger geworden sind und auch, weil Kunst im öffentlichen Raum inzwischen über ganz andere Formen und Formate in öffentlichen Räumen agiert als in den 70er und 80er Jahren: Hamburg beschäftigt für diese kreative Auseinandersetzung eine Stadtkuratorin und das Programm „Neue Auftraggeber“ versucht, Ideen „für eine Kunst der Zivilgesellschaft“ zu generieren.

Denn Kunst im öffentlichen Raum ist ein Prozess. Kunst im öffentlichen Raum ist ein dynamisches Element der integrierten Stadtentwicklung geworden. Man müsste darüber streiten!

 

 

Kunst, zumal im öffentlichen Raum, ist längst keine Angelegenheit mehr allein von Stadtoberen und Geldgebern – das war der Ansatz und der Auftrag, der in Bremen in den 70ern formuliert wurde und die Stadt zum Vorreiter in diesem Diskurs gemacht hatte. Heute scheint hier nicht mehr so klar zu sein, dass das Öffentliche untrennbar zur Kunst im öffentlichen Raum gehört. Darüber müssen wir in Bremen debattieren. Bevor die nächsten Stadtmusikanten straucheln, ohne eine Chance zur Ankunft bekommen zu haben.

 

 

Zur weiteren Lektüre empfohlen:

Unsere Kleine Anfrage „Kunst im öffentlichen Raum und Kunst am Bau sind
Stadtentwicklung“

Hamburgs Stadtkuratorin
mehr dazu: http://gruenlink.de/u76
noch mehr dazu: http://gruenlink.de/u77

„Neue Auftraggeber“
mehr dazu: http://gruenlink.de/u79

Walle wird bunter und grüner

In Politik, Stadt, wörtlich! on 29. März 2014 at 12:47

Dedesdorfer Platz: Grüne freuen sich über Konzept und bevorstehende Entwicklung

Der Kompromiss zur Neugestaltung des Dedesdorfer Platzes ist aus Sicht der Grünen Bürgerschaftsfraktion ein Erfolg – nicht zuletzt auch einer des Bürger-Engagements und der Bürgerbeteiligung vor Ort: „Die nun vorgelegte Planung wäre ohne das große Engagement der Bürgerinitiative so sicherlich nicht entstanden. Statt einer dioxinverseuchten Brache kann der Dedesdorfer Platz nun zu einem Vorzeigeprojekt mit einer großen Freifläche für Aktivitäten, guten Wegeverbindungen und einem hohen Anteil gemeinschaftlichen oder genossenschaftlichen Wohnens entwickelt werden. Ursprünglich sollte der ganze Platz mit Reihenhäusern zugepflastert werden, um möglichst viel Geld in die klamme Stadtkasse zu spülen. Vor diesem Hintergrund wäre es schade, wenn die jahrelang engagierten BürgerInnen ihren hart errungenen Erfolg nun nicht mehr wahrnehmen und mit weiterentwickeln würden“, erklärt der baupolitische Sprecher Carsten Werner im Vorfeld der Beiratssitzung zu diesem Thema.

Die Bürgerschaftsfraktion der Grünen hält den Entwurf für zustimmungsfähig. Die Baufläche an der Sandstedter Straße ist deutlich verkleinert worden. „Die beidseitige Bebauung kann die Straße ohne Durchfahrtmöglichkeit zu einem großen Innenhof machen, an dessen Entwicklung die BewohnerInnen beteiligt werden sollten. Hier könnten GründerInnen und KleingewerblerInnen auch Wohnen und Arbeiten kombinieren – für zeitgemäße Nutzungsmixe kann in Walle hier jetzt viel Raum genutzt werden“, findet Carsten Werner.

Insgesamt ist die vermarktbare Fläche zu Gunsten der Freifläche nochmals um 500 auf 4500 Quadratmeter verringert worden. Statt der Veräußerung zu Höchstpreisen haben nun SelbstnutzerInnen, Genossenschaften und Baugemeinschaften für die meisten Grundstücke ein Vorgriffsrecht. Die Querungswege erschließen das Areal besser für die angrenzenden Quartiere. Es besteht die Möglichkeit zum Abriss des BSV-Vereinsheims, stattdessen könnte z.B. ein Gartenlokal entstehen. „Schon jetzt sind Neugier und Interesse aus anderen Stadtteilen an der künftigen Gestaltung des Arreals am Dedesdorfer Platz spürbar – ich würde mich sehr freuen, wenn hier auch Vorbilder und Pilotprojekte für nachhaltiges Bauen, günstige und ökologische Bauweisen und –materialen und für innovative, zukunftsfähige Grundrisse entstehen. Auch für die Nutzung und Bespielung der neuen Freiräume gilt es jetzt, innovative Angebote und Betriebsmodelle zu entwickeln.

Da u.a. Mittel aus dem Aktive-Zentren-Programm in die Platzgestaltung fließen können und ggf. auch energetische Pilotprojekte gefördert werden können, besteht die Möglichkeit, die Waller Mitte insgesamt zu einem großen Modellvorhaben bürgerschaftlicher und nachbarschaftlicher, integrativer Stadtgestaltung in allen Fasern und vielen Facetten zu machen – „Ich hätte vor einem Jahr nicht im Traum geglaubt, dass ich diesen Satz seriöserweise so schreiben könnte“, fasst Carsten Werner den Stand der Planungen zusammen: „Viele Elemente sind dabei der Beharrlichkeit der Bürgerinitiative zu verdanken – und sie passen (vielleicht jetzt erst) stadtentwicklungspolitisch in die Zeit! Die Freifläche und auch die einzelnen Bauvorhaben bieten viele Gestaltungsmöglichkeiten und sollen auch weiter in einem gemeinsamen Prozess mit den BürgerInnen entwickelt werden. Wir wollen sie auch dazu ermutigen, diese Einflussmöglichkeiten weiter zu nutzen und ihre Ideen sowie Kompetenzen in die jetzt erst beginnende Entwicklung und konkrete Bauplanung gemeinsam mit den offiziellen Planern und den Bauherren, -damen und –gruppen weiter einzubringen. Schließlich soll die neue Waller Mitte ein Gewinn für Walle bleiben und werden.“

Bürgerbaubeteiligung

In Politik, Stadt on 3. März 2014 at 21:17

… aus aktuellem Anlass again: Dieser Blogeintrag ist vom Mai 2011 – im Februar 2014 hat die Linkspartei einen Skandal erkannt: In Deutschlands zehntgrößter Stadt soll gebaut werden! Im Zentrum! Welch ein Schrecken für die Linkspartei: Sie versuchen jetzt seit Monaten und Jahren, sich am Bremer Hauptbahnhof irgendwie ein kleines „Stuttgart 21“ zu inszenieren – oder auf Bremisch: Einen kleinen neuen Fall Mozart-Trasse. Das ist so schön populistisch – bloß: Es geht nicht um ein Mega-Verkehrsprojekt mit umstrittenem Nutzen und ungewissem tektonischem und wirtschaftlichem Ausgang auf Kosten des Steuerzahlers – sondern um zwei Häuser und eine Straße, in Linksparteisprech um „zwei Riesenhochhäuser“. Mitten in der Stadt, wo schon vor 130 Jahren ein großes Hallenschwimmbad stand, danach ein Busbahnhof und Europas größter Fahrradparkplatz waren! Was man da sonst so machen könnte? Was „Schönes, Luftiges, Grünes“, meinen die Kollegen. Es müsste 120.000 Reisende täglich aushalten, das Traumgebilde – und dem Bremer Bürgerpark (800 Meter weiter), den Wallanlagen (450 Meter weiter) irgendwie in Sachen Grün den Rang ablaufen …

cwergenwelt

Nach Jahren, Jahrzehnten soll der Platz vor dem Bahnhofsvorplatz in Bremen bebaut werden. Jahrelang lag das Gelände brach, jahrelang war es durch tausende Fahrradständer verziert, zuletzt war es gestaltet und gelegentlich belebt von einigen Skatern. Nun soll die Fläche bebaut werden – nach einem architektonischen Entwurf, der schon einmal Sieger bei einem Architekturwettbewerb für das Gelände war, entsprechend städtischen Grundrissen vergangener Jahrhunderte, nach dem langgehegten Plan des Grundstücksverkaufs an einen Investor. Zweimal sind zuvor Investoren abgesprungen. Jetzt scheint die Zeit günstig: Entwurf, Investoren und politischer Wille treffen zusammen – gestärkt von der Notwendigkeit, dem langsamen Verfall der Bahnhofsvorstadt etwas entgegenzusetzen. Nun kann und soll geplant und gebaut werden.

Doch nun regt sich Protest: Was man da nicht alles machen könnte: Grünanlage! öffentlicher Raum! Aufenthaltsqualität! rufts aus den Reihen der Gegner etwa bei einer Veranstaltung des „Bremer Stadtdialogs“ des Zentrums für Baukultur gestern Abend im Speicher XI – und natürlich „Gentrifizierung!“…

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Das sollten wir nicht verschenken!

In Ideenwirtschaft, Politik, Stadt, wörtlich! on 3. März 2014 at 19:53

Ich meine, dass wir es uns nicht leisten können, auf die Kompetenz und das Engagement von Bürgern und Bürgerinnen, Unternehmen und Initiativen zu verzichten.

Wir Grünen stehen für Basisdemokratie und Bürgerbeteiligung in den demokratischen Prozessen – und historisch steht unsere Partei für die Integration von Bewegungen und Ideen aus dem außerparlamentarischen Raum, aus der Bevölkerung, in politische, parlamentarische, demokratische Prozesse. Das Ausdiskutieren von Positionen, das Integrieren von Bewegungen, das Aushalten von Konflikten war nicht immer einfach – aber produktiv: „Grüne Themen“ sind Common Sense geworden, grüne Kompetenz ist überall gefragt. Dafür stehen als Schlusspointe des vergangenen Wahljahres 2013 auch einige „grüne“ Personalien der schwarz-roten GroKo in Berlin.

Ich meine: Wir können es uns auch in Zukunft nicht leisten, auf die Kompetenz und das Engagement von Bürgern und Bürgerinnen, Initiativen und Unternehmen zu verzichten. Als Partei wäre es dumm, auf den Rat und die Expertise von Freunden und Kritikern zu verzichten – von der Quartiersentwicklung über privates Nachhaltigkeits- und Energieverhalten bis hin zu den demografischen und kulturellen Entwicklungen einer mobilen und digitalen Gesellschaft sollten wir immer wieder genau auf die vielfältigen Erfahrungen unserer Mitglieder, vor allem aber auch sympathisierender Freunde vertrauen – und uns auch jenseits der parlamentarischen Gremien und der medialen Öffentlichkeit mit Mitbewerbern und Konkurrenten auseinandersetzen.

Zu oft begreifen und vernachlässigen wir inhaltliche Inputs als „Antragsprosa“ für verkappte Finanzierungsbegründungen; zu oft wird Engagement als freakig oder egoistisch abgestempelt und weggeheftet; zu oft tun wir Ansichten ab, weil sie vermeintlich „gegnerische“ sind. Aber anders herum wird ein Schuh draus: Als Partei müssen wir uns mit allen beschäftigen, die uns nah, aber nicht unbedingt vollkommen grün sind – von der Piratenpartei bis zu den Wirtschaftsverbänden, vom Urban Gardening bis zu privaten Sozial-, Bildungs- und Kulturangeboten. Und als Regierungspartner können wir es uns finanziell gar nicht leisten, auf die „kommunale Intelligenz“ der Nachbarschaften und Communities, von sachkundigen BürgerInnen und interessierten Gruppen zu verzichten! Gerade in Zeiten knapper Finanzmittel müssen wir Privatinitiative und Bürgerengagement als wichtige Ressource begreifen.

Bürgerbeteiligung darf sich deshalb nicht auf demokratische Verfahren einerseits und auf Protest-Management andererseits beschränken: Zukunftswerkstätten – wie sie zum Beispiel die Bürgerinitiativen zum Osterfeuerberger Ring, zur Waller Mitte am Dedesdorfer Platz begonnen haben, wie sie der Bausenator zur Entwicklung des Leitbildes „Bremen 2020“ oder zur Zukunft des neuen Hulsberg-Viertels oder wie sie das Kreativwirtschafts-Projekt „Brennerei“ für die Zukunft des Bürgerparks und seiner Finanzierung durchgeführt haben – sind nachhaltig im besten Sinne: Sie stimulieren und motivieren gesellschaftliche Entwicklung mit nachbarschaftlichem Engagement, schaffen Identifikation und sparen so soziale Folgekosten. Sie ermöglichen Vielfalt, realisieren Experimente und Visionen – und verankern mit Ideen, Fantasie und Kompetenz notwendige Veränderungen und Neuerungen frühzeitig in der Stadtgesellschaft.

Wir müssen deshalb Bürgerinnen und Bürger unterstützen und immer wieder in die Lage versetzen, zum Gemeinwohl beizutragen. Dazu gehört eine offene Informations- und Motivationspolitik. Und dazu gehört auch, die politischen Wege und Verwaltungsprozesse noch transparenter zu machen: Klar zu machen, in welchen Rahmen, zwischen welchen Anliegen und Interessen und in welchen rechtlichen, technischen und auch finanziellen, zeitlichen und personellen Grenzen Beteiligung notwendig und möglich ist, und in welchen Rahmen und Grenzen Vorhaben geplant und realisiert werden können. Denn Bürgerbeteiligung ist kein Wunschkonzert und ist weder Vorfahrts- noch Einbahnstraße.

Wenn in Zukunftswerkstätten, für Entwicklungsagenturen und an Runden Tischen von vornherein klar ist, welche Erkenntnisse gewonnen, welche Verfahrensschritte erreicht werden sollen, wessen Entscheidungen damit vorbereitet werden – und was NICHT –, dann kann die konstruktive Teilhabe an solchen Prozessen auch über den berüchtigten eigenen Tellerrand und Gartenzaun hinaus befriedigend sein. Die daraus auch entstehende Kompetenzerweiterung ist ein echter Mehrwert!

Durch die Förderung von gemeinwohlorientiertem Bauen durch Baugruppen, Selbstnutzer und Genossenschaften, durch die Stärkung von Nachbarschaften und Ehrenämtern, durch die Unterstützung privater Kinderbetreuung, durch Sozial- und Kulturangebote in privaten, auch neuen Trägerstrukturen – und natürlich durch vielseitige Teilhabe an allen Facetten des gesellschaftlichen Lebens kann der Zusammenhalt der Städte und Quartiere konkret gestärkt und nachhaltig gestaltet werden. So können Sicherheits- und Reparaturkosten, soziale Schief- und Notlagen begrenzt werden.

Bremen kann es sich nicht leisten, auf das Wissen, die Ideen, die Fähigkeiten und die Hilfe seiner BürgerInnen zu verzichten. Deshalb wünsche ich mir für die nächsten Jahre noch mehr konstruktive Bürgerbeteiligung – mit Ideen und Impulsen der BürgerInnen, mit ihrer Kompetenz, Spezialisierung und Betroffenheit, mit sichtbaren Ergebnissen – und mit einer dazu auch neu zu entwickelnden Kultur der Anerkennung und des Dankes.

Als Projekte bieten sich neben Quartiers- und Stadtentwicklungsthemen dafür auch andere Politikbereiche an: Das „Zuckerwerk“ hat eine Wertschätzung und Anerkennung wie die Bürgerhäuser oder wie das Musikfest verdient! Das Stadtmarketing kann zu einem ureigenen Projekt der BürgerInnen Bremens weiterentwickelt werden – Mundpropaganda, Spezialistenwissen first!. Die Innenstadt muss von und für BürgerInnen ein Stück weit für das öffentliche Leben auch jenseits des Shoppings zurückerobert werden. In Ampelworkshops können in Hamburg die Verkehrsteilnehmer aller Verkehrsarten ihre spezifischen Erfahrungen einbringen und lernen, die Perspektiven der anderen berücksichtigen. In Sharing-Börsen kann „Nutzen statt Besitzen“ erprobt und als Kultur einer solidarischen Ökonomie etabliert werden. Eine Bremer „Kulturloge“ kann kulturelle Teilhabe für Menschen mit geringem Einkommen in der Veranstaltungswirtschaft und der Kulturszene organisieren. – So wird Kompetenz konkret wirksam. Ich meine: Wir sollten das nicht verschenken!

Für eine digitale Agenda – international und kommunal

In Medien, Politik, Stadt, wörtlich!, Welt on 14. Dezember 2013 at 09:29

In dieser Woche haben weltweit operierende Konzerne wie Google, Apple, Twitter, Facebook, AOL, Yahoo und Microsoft bei der amerikanischen Regierung eine Geheimdienstreform angemahnt. Der deutschen Bundesregierung (der amtierenden, und der künftigen wohl gleich mit) wirft der Telekom-Chef „Leisetreterei“ vor und kritisiert ihren Umgang mit der Geheimdienst-Lausch-Affäre als „demokratiegefährdend“. Und 560 Schriftsteller mahnen digitale Bürgerrechte an.

Die Datenwirtschaft sitzt auf einem riesigen – so wertvollen wie gesellschaftlich und politisch gefährlichen – Datenschatz, den sie gesammelt hat und den sie in jeder Minute vergrößert. Die Unternehmen wissen, wo wir wann mit wem welche Straßen benutzen, wann wir aufstehen und wo wir essen gehen oder welche Filme wir gucken – Twitter und Google registrieren die Ausbreitung von Krankheiten oder revolutionären Bewegungen schneller als jede Behörde oder Nachrichtenagentur. Microsoft hat Zugang zu vier von fünf aller Computer in der Welt. Ohne digitale Hilfe können wir heute kaum noch reisen, uns informieren, kommunizieren, ein Medikament einnehmen, eine Verabredung treffen. Und niemand von uns hat es selbst in der Hand, die dicken digitalen Spuren zu löschen oder auch nur zu verwischen, die jeder von uns dabei hinterlässt; wir können nicht einmal deren Auswertung und deren Verkauf widersprechen. Staaten und Politik sind weitgehend ratlos, wie das gehen soll – wir stammeln von „Neuland“, Schwierigkeiten und Herausforderungen. Jetzt geht die Angst um – und am lautesten bei den weltmarktführenden Unternehmen um ihren Datenschatz und dessen Sprengkraft.

Fünfhundertsechzig Schriftsteller aus der ganzen Welt rufen, ebenfalls in dieser Woche, dazu auf, die Demokratie in der digitalen Welt gegen die systematische Überwachung im Internet durch Firmen und Geheimdienste zu verteidigen. Sie fordern das Bürgerrecht ein, über das Sammeln, Speichern und Verwerten seiner, meiner, Deiner Daten mit zu bestimmen. Das war in der analogen Welt eine banale Selbstverständlichkeit: Dass ich entscheide, wen ich meine Briefe lesen lasse, wem ich meine Schlüssel in die Hand gebe, mit wem ich meine Interessen und Beziehungen bespreche. Nun ist die Welt in diesem Jahr nicht plötzlich digital geworden: Seit Jahrzehnten arbeiten wir vertrauensvoll mit Computern, steuern sie Geräte und Maschinen, denen wir vertrauen. PINs und TANs waren schon immer digital, auch wenn wir sie auf ausgedruckten Minizettelchen zwischen Bibeln und Kochbüchern versteckt haben. Sicher war das nie. Dass persönliche Geheimnistuerei global gar nicht mehr funktioniert, merken, ahnen wir erst jetzt.

writersagainstDie SchriftstellerInnen erinnern in ihrem beeindruckend einfach gehaltenen, wichtigen Appell an die Unschuldsvermutung als zentrale Errungenschaft unserer Zivilisation (hier erläutern Juli Zeh und Ilija Trojanow ihre Initiative: „Alles ist gesagt, jetzt müssen wir handeln“). Und sie appellieren an die Vereinten Nationen, eine internationale „Konvention der digitalen Rechte“ zu verabschieden.

Ich meine: Diesem Aufruf müssen wir uns anschließen!Und wir müssen uns ihm politisch stellen: Es ist höchste Zeit, die Digitalisierung der Gesellschaft endlich ernst zu nehmen als das, was sie ist: die Digitalisierung der Gesellschaft. Auf allen Ebenen. Überwachung ist heute Realität.

Die Digitalisierung wurde ja nicht nur beim Datenschutz jahr(zehnt)elang weitgehend ignoriert oder auf rein symptomatischer Ebene diskutiert – auch die Musik-, Film- und Medienindustrie haben sie unterschätzt. In  dieser Woche hat der Digitalkonzern Springer – vor ein paar Monaten noch ein klassischer Verlag, der das gedruckte Wort mit Leistungsschutzrecht und Depublikationspflicht gegen Internetnutzer und Fernsehsender verteidigen wollte – den Fernsehsender N24 gekauft, um seine Medienangebote crossmedial und hybrid weiter zu entwickeln: Wir erleben gerade, dass Zeitung, Fernsehen, Blogs und Radio sich in Medienportalen vereinen. Arabische und afrikanische Machthaber haben ihre Potentiale unterschätzt. Im Bildungsbereich hinken wir der kulturellen und technologischen Entwicklung – und oft der Kompetenz und Lebenswirklichkeit der Schüler selbst – Jahre hinterher. Stadtplaner erklären uns heute, dass „das iPhone“ den Personenverkehr und das Einkaufen grundlegend verändern wird: Wer mit dem Telefon in der Hand PINs und ISBNs tippend, Codes scannend vorm Parkscheinautomaten oder in der Buchhandlung steht, der erlebt das. Kulturwissenschaftler nennen es eine neue industrielle Revolution.

(Dazu hier ein kleiner interaktiver Test:
Wann wurde das iPhone erfunden?
Schätzt mal – und dann sucht irgendwo die Antwort!)

Wir brauchen eine digitale Agenda – auf europäischer und nationaler Ebene sowieso. Aber auch international – und kommunal: Wohin soll uns die Digitalisierung als Kommune bringen – und wohin nicht? Denn Techniken sind keine Naturgesetze.

Grüne Bundestagsabgeordnete wie Konstantin von Notz und Tabea Rößner haben anlässlich der NSA-Affäre das Wort von der „Kernschmelze“ unserer Bürgerrechte, der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie geprägt – schon ein paar Wochen später haben das jetzt die Weltwirtschaft und die Weltliteratur jetzt fast gleichzeitig übernommen. In den Wahlnachlesen unserer Partei habe ich das Wort „digital“ dagegen so gut wie gar nicht gehört oder gelesen. Für dieses zentrale Thema sollten wir uns aber Zeit und Kraft nehmen und uns auch noch einmal mit den „Piraten“ auseinandersetzen – und zusammensetzen: Sie haben, wie auch die Grüne Jugend, das neue Betriebssystem für unsere digitale Gesellschaft schon ganz gut verstanden. Und deshalb können sie wichtige Partner dabei sein, es zu verbessern. Damit neben den Risiken auch wieder die wunderbaren Chancen der Digitalisierung auf der Agenda stehen.

Carsten Werner, Mitglied der Bremischen Bürgerschaft – Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Sprecher für Kultur und Medien, Bau und Stadtentwicklung

Kultursoli für Projektförderung?

In Politik, Stadt, wörtlich! on 13. Juni 2013 at 13:06

In der letzten Sitzung der Kulturdeputation wurden die Haushaltsentwürfe des Kultursenators vorgestellt.  Der vom Kultursenator vorgelegte Haushaltsentwurf sieht eine Halbierung der für freie Projekte verfügbaren Projektmittel vor. Wir Grünen werden uns gemeinsam mit der SPD in den weiteren Verhandlungen weiter für eine weiterhin ausreichende Projektmittelförderung und auch für eine Förderung des erfolgreichen Figurentheaters „Mensch, Puppe!“ einsetzen. Gleichzeitig gibt es „Großbaustellen“ vor allem in der Museumslandschaft. Wir stoßen also auch im Kulturhaushalt an die Frage, was sich Bremen leisten kann und muss.

Auf die – finanziell vergleichsweise preiswerten, aber umso vielfältigeren, effektiven und fantasiereichen – Innovationen, Anregungen und Möglichkeiten, die temporäre Kulturprojekte und -kooperationen der Stadt und der Gesellschaft – oft als frei zugängliche, eintrittsfreie Festivals und Angebote im Stadtraum – bieten, wollen wir dabei nicht verzichten. Sie dürfen nicht zur Verfügungsmasse werden. Wir müssen sie im Gegenteil viel selbstverständlicher machen. Deshalb haben wir uns in den vergangenen Jahren für ein neues, transparentes und fachlich vernetztes Projektmittel-Vergabeverfahren eingesetzt.

Deshalb werden wir im Haushaltsentwurf auch noch einmal genau nach alternativen Einsparmöglichkeiten suchen. Außerdem sollen mögliche Mehreinnahmen bei der CityTax für die Förderung der freien Szene genutzt werden. Und wir können uns vorstellen, dass größere, publikumsträchtige kulturelle Veranstaltungen in Bremen durch einen kleinen Anteil vom Vollzahler-Eintrittspreis, einen „Kultur-Euro“, zu einer verlässlichen Finanzierung der Projektmittel und damit zur Anerkennung der Projekte als Entwicklungsmotor beitragen. Welche Veranstaltungen oder Veranstalter dazu geeignet und bereit wären, welche juristischen Voraussetzungen dafür bestehen, wie eine freiwillige Lösung aussehen könnte – all das wird nun geprüft. Mir scheint das zumindest eine Diuskussion und Prüfung wert – denn die Alternative wäre nur, die Kürzungen hinzunehmen oder an anderer Stelle im Kulturhaushalt zu kürzen.

Projektförderung ist dabei kein Sahnehäubchen – weder für die Kulturpolitik noch für die Akteure. Und Projekte sind nicht bloß das „Salz in der Suppe“ – sondern ein wichtiger Motor von Entwicklung: Ohne die Ideen, Impulse, Versuche,  Kooperationen und Experimente von Künstlern, Kulturinitiativen und Kultureinrichtungen wären Erneuerung und Weiterentwicklung viel schwieriger und theorielastiger. Das gilt für die Künste, für kulturelle Teilhabe, neue Kulturtechniken und letztlich auch für viele weitere Politik- und Gesellschaftsbereiche wie die Stadtentwicklung, das soziale Zusammenleben, für Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft und Medien.

Ein „Kultur-Euro“ oder „Kultur-Soli“ des zahlungsfähigen und -willigen Publikums publikumsträchtiger Veranstaltungen könnte die dem Kulturhaushalt zugutekommende CityTax sinnvoll ergänzen, das Bewusstsein für eine lebendige Projektlandschaft und Kulturszene schärfen – und zudem eine Chance bedeuten, das Kulturmarketing Bremens im gemeinsamen Interesse der geförderten und auch der privaten Veranstalter deutlich auszubauen.

Grünes 24-Stunden-Kultur-Speed-Dating

In Ideenwirtschaft, Politik, Stadt on 2. Juni 2013 at 15:15

In einer Art 24-Stunden-Speed-Dating durch die Bremer Kulturpolitik, -landschaft und -förderung war am 31. Mai und 1. Juni die Bundesarbeitsgemeinschaft Kultur der Grünen aus den Bundesländern und der Bundespolitik in Bremen zu Gast und hat Kulturpolitik in Regierungsverantwortung diskutiert und praktisch besichtigt. Zu Gast in der Sitzung waren aus Bremen neben dem kulturpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion Carsten Werner und Florian Prübusch aus dem Landesvorstand der Grünen, die beiden Protagonisten der ZwischenZeitZentrale Daniel Schnier und Oliver Hasemann, Bau- und Umweltsenator Dr. Joachim Lohse, Finanzstaatsrat Dietmar Strehl, Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz (SPD) und der „Ideenlotse“ und Kreativwirtschafts-Experte Christoph Backes vom U-Institut. Außerdem haben Carsten Ahrens vom Museum Weserburg, urban-screen- und Schnapsfabrik-Gründer Thorsten Bauer, Shakespeare-Company- Geschäftsführerin Renate Heitmann ihre Einrichtungen vor Ort vorgestellt und es es gab einen Besuch im Komplex Schwankhalle/Städtische Galerie und eine Einkehr im Zwischennutzungs-Café „Radieschen“ am Buntentor-Friedhof.

Carsten Werner kommentierte anschließend: „So hinterlässt Bremen als Kulturstadt und kreative Stadt einen tollen Eindruck bei den Grünen-Kulturexperten aus Bund und Ländern. (Und bei mir auch – so im
Schnelldurchlauf.) Und wir waren gar nicht in OTe, gar nicht in der Überseestadt, haben uns gar nicht mit kultureller Bildung beschäftigt, mit Quartiers- und Soziokultur und Bürgerbeteiligung nur theoretisch, mit Kulturmessen, Festivals und Privattheatern nur am Rande und über die Zeitschrift der Straße oder flux.fm könnte man auch viel mehr reden. Und Essen haben wir auch vergessen. Also: Das Programm für eine zweite Runde steht eigentlich schon!“

Ein Blick von Rainer Splitt, Sprecher der LAG Kultur in Berlin, auf Bremen finden Sie hier: http://gruenlink.de/k45

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