Ich war ja nicht von Anfang an dabei. Im Nachdenken über meinen Staat und mich drängen schwer angstbesetzte Situationen aus der Erinnerung, die wohl mein gesellschaftliches, politisches Bewusstsein geweckt haben: Die ungeheure Angst, als Lilienthaler Teenie von brutalen RAF-Terroristen mit meinen kleinen Schwestern vom Schulhof oder aus dem Vorortgarten entführt zu werden – oder direkt im Postamt, wo finstere Steckbrief-Visagen vor äußerster Brutalität und direktem „Schußwaffengebrauch“ warnten. Medien, Polizei und Politik implizierten mir dieses mögliche Schicksal. Etwas später beherrschte mich monatelang große Angst, bei der Bundeswehr einmal selbst zum Waffengebrauch gezwungen zu werden. Und meinen ersten und einzigen DDR-Besuch verbrachte ich absurd kreiselnd wandernd durch Ost-Berlin – sollte doch hinter jedem Busch und Schild ein Verfolger stehen. Keine sehr schönen Erinnerungen. Aber heute bin ich manchmal noch fröhlich überrascht, dass Helmut Kohl hier nicht mehr Kanzler ist und wie schnell Demokratie doch gehen kann. Ich kenne keine andere als diese eigentlich nette, liberale Bundesrepublik. In „der Krise“ von System und Staat verdichtet sich gerade mein Gefühl, dass sie sich noch mal gewaltig verändern wird und muss. Meine Angst reduziert sich jetzt auf bürokratische Monster und ist sonst Neugier und Entdeckerlust gewichen.
(für den Weser Kurier)