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Hallo Nachbarn, Dankeschön!

In Ideenwirtschaft, Stadt on 9. Mai 2015 at 17:47

Sönke Busch for Nachtbürgermeister!

Vor vier Jahren habe ich als ganz frisch gebackener Abgeordneter (und frisch wiederaufgebackener Viertelbewohner) mit einigen Nachbarn, aufgelösten Passanten, verunsicherten PolizistInnen, durchgeknallten Randalierern und deeskalierenden Jugendlichen mehrere Nächte – nach der Breminale​ und dem „Viertelfest“ – an der Sielwallkreuzung verbracht und wir waren sehr, sehr unsicher und ratlos, wie man der Dynamik aus Partylust und Alkohol, Radau und Randale, Musik und auch Gewalt begegnen kann oder sollte, die sich da Bahn brach.

2 Nächte vor dem Ende dieser Wahlperiode haben das Viertel und seine Besucher jetzt ein Zeichen gesetzt, dass das und vielleicht auch wie das gehen könnte: Mit etwas weniger Halligalli, mit etwas weniger Alkohol, mit Spaß UND Verantwortung, mit kreativen UND kommerziellen Anliegen – in vielen Schattierungen, mit viel Auseinandersetzung und Diskussion, mit viel Verantwortungsbewusstsein, bestimmt auch mit etwas Glück.

Ich habe noch nicht wirklich verstanden, was da in der vergangenen Nacht passiert ist und zu erleben war: An Ruhe UND Amüsierbedürfnis. War das eine Demo? Ein Go-In, ein unplugged-Fest? Selten waren die Wohnstraßen so ruhig – weil es kaum noch Verkehr gab. Selten war das Gegröle so wenige bedrohlich. Selten war der Dreck so schnell (fast) wieder weg. Es gab wenige und um so wichtigere Szenen und Bilder:

• Die vorsichtige temporäre „Aneignung“ des Straßenraums.

• Die sensible Bereitschaft und entspannte Haltung der Polizei.

• Das konsequente „Musik nur drinnen“-Konzept.

• Der offene, freie, leere, nur von Menschen bevölkerte Straßenraum ohne Bühnen-Buden-Banner-Trara – ein „autofreier StadTraum“ ;-)

• Die großen Haufen NICHT geworfener, sondern sorgfältig am Straßenrand abgelegter Flaschen.

• und, für mich die Szene und das Bild dieser Nacht, genau wie ich es mir erwünscht und erhofft hatte: Die die Sielwallkreuzung fegenden Wirte und Veranstalter – hier aufgenommen von Andrea Bischoff von der veranstaltenden Initiative „Kulturschutzgebiet“:

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Apropos „Kulturschutzgebiet“: Der „Erhalt der kulturellen Vielfalt“ entscheidet sich sicher nicht im Bremer Viertel. Ich glaube auch nicht, dass dieser Kulturbegriff (der nur einer von ganz vielen und nur ein ausschnitthafter ist) sich von der Kommerzialität des Viertels wirklich trennen lässt. Deshalb geht es meiner Meinung nach auch weniger um „Schutz“ und Unterschutzstellung, als um eine Verständigung der Bewohner und Nutzer dieses Stadtquartiers. Die vergangene Nacht hat gezeigt, was eigentlich jeder weiß: dass die Kulturbegriffe sehr weit gefasst sind, dass vielleicht auch jeder seinen eigenen hat – dass man das auch niemandem vorschreiben kann und sollte, was wessen Kultur zu sein hat. Und dass man sich seine Gäste im öffentlichen Raum nicht aussuchen und in Gute und Böse, Angenehme und Unerwünschte sortieren kann, versteht sich von selbst, oder? (Anders lesbare Äußerungen würde ich gerne dem Hype und der Nervosität um das unkontrolliert anschwellende Event zuschreiben – ernstgenommen wären sie kulturell grenzwertig und ökonomisch bigott …)

Natürlich ging es vielen der Besucher nicht um die einzelnen Musikevents – wahrscheinlich zum Glück; denn dann hätten die geringen Zuschauerkapazitäten in den Locations für böse Enttäuschung gesorgt. Aber ist das schlimm? Ich glaube, es hat sich gezeigt, dass weniger Musik open air, weniger Alkohol open air und weniger Aufregung, angestrengte Ambition und hyperventilierte Erwartung bei Veranstaltern, Polizei und Stadtteilpolitik eben auch deeskalierend wirken können.

Also was war das jetzt? glückliche Fügung, weil alles gut gegangen ist? Vielleicht haben klare, ehrliche Interessen eine wichtige Rolle gespielt. Denn was gesagt wird, kann man einschätzen. Und das ist Arbeit. Da kann der riesengroße Rest der Kulturszene viel von abgucken!

Sönke Busch hat über Wochen immer wieder die Diversität und Hybridität des Viertels, des Stadtlebens überhaupt und der Stadt- und Viertel-Nutzungen empathisch und genau herausgearbeitet, beschrieben und erlebbar gemacht. Ich habe in den vergangenen Wochen ja immer wieder vorgeschlagen, das Modell des Amsterdamer „Nachtbürgermeisters“ auf Bremen zu übertragen. Das wäre natürlich keine neue Behörde, kein neues Amt, sondern ein Partyversteher, Szenesprecher, Quartiersvermittler, Behördenberater. Die Viertel-Gastronomen sind dafür vor ihren eigenen Häusern schon ein gutes Beispiel. Heute Morgen dachte ich: Ist Sönke nicht schon längst unser Viertel-Nachtbürgermeister?!

Ich weiß nicht, ob das ein wiederholbares und wiederholenswertes Event war? Das „neue Viertelfest“? Eher nicht. Aber auf jeden Fall war es ein tolles, verstörendes, letztlich ruhiges Zeichen – für Diskurs, für Nachdenken und Reden. Denn das Viertel muss seinen Weg finden. Dafür gibts keine Gesetze. (Warum dabei Flaschen fliegen müssen und warum Idioten dazu Böller brauchen, werde ich persönlich nie verstehen. Selbst der Reiz der Masse überträgt sich so gar nicht auf mich selbst.) –  Aber die Diskurslust und die Diskursfähigkeit der Kneipenszene, der Musikszene und der Viertelbewohner – die lassen mich den Wahlkampf und meine erste Legislaturperiode als Bürgerschaftsabgeordneter mit einem dicken DANKE beenden an diese Stadt und alle ihre Viertel und Quartiere, die miteinander reden und streiten, die miteinander Wege suchen und auch mal mutig und innovativ ausprobieren.

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