carsten werners

Für die Politik gewonnen

In Politik, Werner on 28. Mai 2011 at 19:22

Als die Bremer Grünen-Landesvorsitzende Susan Mittrenga im Sommer 2010 den freien Redakteur, Regisseur und Projektentwickler fragte, ob er für die Grünen in der Bremischen Bürgerschaft in den Wahlkampf und dann vielleicht ins Parlament ziehen würde, war nach ein paar Telefonaten und Treffen zügig klar: „Ich mach das.“ Ich kandidiere. Mitten aus der in Medien- und Kulturkreisen alltäglichen „Politikverdrossenheit“ heraus eigentlich eine  komplizierte Frage für einen Freiberufler zwischen Sylter Meerkabarett, Tagesspiegel-Politik- und Lokalredaktion, Bremer Kulturetatkürzungs-Abwehrkampf und Familie.

Aber ich bin politisch, seit ich denken kann, grün sozialisiert und will was bewirken. Und mit Mitte 40 Ideen aus dem Stadtleben, Erfahrungen im (kultur)politischen Nahkampf, gewachsene Überzeugungen in Politik und Stadtentwicklung zu übertragen – eine schöne Perspektive! Sich nach zehn Jahren Pendelei auf einen Ort konzentrieren, täte bestimmt nicht nur dem Kind, sondern auch der eigenen Gesundheit gut. Ich bewerbe mich. Dabei ist das nicht so meine Art: Für mich werben, das wird auch später im Wahlkampf noch mal heikel werden.

Überraschend, wie toll Ende November meine Rede zur Listenaufstellung ankommt. In Kampfkandidaturen ergattere ich Listenplatz 14 – einen „sicheren Platz“ nennt das die Lokalpresse, irgendwas zwischen „aussichtsreich“ und „gar nicht sicher“ finde ich: Bremen hat ein neues Wahlrecht,  Personenstimmen können die Liste kräftig durchschütteln. Ich fahre meine Berufe runter – wie für ein paar Sabbat-Monate; denn den Wahlkampf bezahlt mir niemand und wer weiß, wann ich in die Jobs zurück komme? – und taste mich in die Lokalpolitik.

 

Das Feilen an Konzepten, das Ringen um die richtigsten Worte und besten Argumente ist mir ja vertraut. Aber ich bin beeindruckt, wie viel konzentrierter und genauer das in der politischen Arbeit dieser grünen Fraktion möglich ist, in der ich jetzt Gast bin. Es geht, wie im Journalismus oder im Theater, um Inhalte, für die eine Form gesucht und gestaltet, Wirkung erzielt wird. Also euphorisiert auf in den Wahlkampf:Diskussionen, Ausstellungseröffnungen, Debatten über Kultur- und Stadtentwicklung,  kulturelle Bildung, Medienpolitik. Mich erstaunt, wie offen die politische Welt für einen von „außen“ ist. Und wie verschlossen die Öffentlichkeit plötzlich: „Sie sind ja jetzt Kandidat“. Da müssen gute Ideen zurückstehen. Versteh einer die Medien.

Trotzdem grüßen plötzlich wildfremde Menschen auf der Straße. An Straßenständen und im Online-Wahlkampf erlebe ich eine geballte Ladung Lebenswirklichkeit – und zu allem bitte immer schnell eine Haltung. Festlegung erwünscht. „Prüfen“ ist nicht so gefragt – wird wahlweise als Ausrede oder verkappter Plan gedeutet. Also: Sarrazins Erfolg halte ich für ein kalkuliertes kommerzielles Projekt. Den Bürgerrundfunk sollten wir  aus überholter „Meinungsorgan für alle“-Ideologie zum zeitgemäßen Bürgermedium und Instrument kultureller Bildung machen. Kulturelle Bildung geht nur, wenn Bildungssenatorin und Kulturressort zusammenarbeiten. Von wie vielen AKW ist Bremen umzingelt und kann die Stadt Atomtransporte verbieten? Nazis waren für mich immer nur so eine nervige Randerscheinung, jetzt demonstriere ich gegen sie. An Polizeisperren deeskalieren Polizisten und sind selbst gegen Atomkraft oder Nazis. Müssen Lehrer unbedingt verbeamtet sein? Nein. Berufsverbote der 70er Jahre führen heute noch zu Nachwehen und Verletzungen. Für die Inklusion Behinderter in den Regelunterricht kann man in den USA viel lernen. Wer weniger Lärm in der Stadt will, muss auch die Bürgerparktombola zur Ruhe mahnen, die andererseits aber die Finanzierung der Bremer Innenstadt-Parklandschaft sichert. Ja. Und wie halte ich es eigentlich mit der Frauenquote?  Finde ich gut: Weit über die Hälfte meiner Förderer, Chefs und Freunde waren und sind Frauen. Aber ich habe vorher nie darüber nachgedacht. Zur Vergänglichkeit und Umweltverträglichkeit von Urnen auf Bremer Friedhöfen muss ich passen. Parallel beginnt privat die erniedrigende Suche nach einem Kita-Platz für unsere dreijährige Tochter: „… diese Politiker“-Geschimpfe allerorten: Zu wenig Plätze, zu wenig Betreuungsstunden. Ich verspreche zaghaft, mein Bestes zu tun, demnächst, nach der Wahl … „Sie können mich übrigens auch wählen!“

Die fast unsichtbare, unhörbare Gegenseite im Landtagswahlkampf macht uns immer wieder stutzig: Die FDP verliert durch einen Austritt den Fraktionsstatus und zerlegt sich ein eine Restpartei und eine Wählervereinigung , in der CDU wird um Listenplätze gestritten, rechte Gruppen und Nazis mobilisieren – nicht wirklich erfolgreich. Handelskammer und CDU schimpfen auf drei Fußgängerampeln und schüren Angst vor einer City-Maut – nicht viel mehr, merkwürdig uninspiriert und planlos.

Ob es nicht gerade jetzt „etwas opportunistisch“ sei, für die Grünen in die Politik zu gehen, will die Lokal-taz schon Weihnachten wissen. Aber als Schülervertreter haben wir in den 80ern Norddeutschlands ersten Dosensammelcontainer aufgestellt. Im April 1986 bin ich mit meiner ersten Freundin auf dem Bremer Marktplatz von meiner ersten Anti-Atom-Demo aus dem Tschernobyl-Regen in den nahen Dom geflüchtet. 25 Jahre später stehe ich jetzt wieder da, mit einer Dreijährigen auf den Schultern. Wahlkampf? Auch. Angst vor der Atomkraft? Mehr. Auch fünf Tage vor Fukushima haben wir auf dem Marktplatz demonstriert. Es ist eine Generationen- und Zeitfrage: Wir kommen jetzt in der Gesellschaft an – die Ideen und die Leute. „Politik ist was anderes als das Einwirkenlassen von Gefühlsdünsten. Ich weiß, daß die nicht wegzukriegen sind, aber man sollte ihrer soweit es geht Herr werden.“ – wusste schon 1962 Herbert Wehner. „Ideen zu Taten schrumpfen“ habe ich mir als Wahlspruch aus dem Theater mit in die Politik genommen.

11. März, später Vormittag: In Japan hat gerade die Erde gebebt und einen Tsunami ausgelöst. DieDeutsche Bahn hat Verspätung, ich werde wieder zu spät in die Berliner Redaktion kommen.Noch ins Handy wütend, treffe ich im Ersatz-Nahverkehrszug Reinhard Loske, unseren Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa. Aus der grünen Bundestagsfraktion ist er vor vier Jahren nach Bremen gekommen und hat frischen Wind in die Stadtentwicklung gebracht, Innenverdichtung statt Flächenfraß am Stadtrand gepredigt, Kulturschaffende und Bürger in die Stadtplanung einbezogen, Verkehrspolitik auch auf Fußgänger, Radfahrer, Rollatorenschieber bezogen. Gerade Loske hat mir neue Lust gemacht auf meine Heimat und grüne Politik. In seiner Denkschrift „Abschied vom Wachstumszwang“ skizziert er „Konturen einer Politik der Mäßigung“: Ein Werbeverbot im Kinderfernsehen etwa, ein Ende der „Börsennachrichten“ als Dauerwerbung für Aktienspekulanten, Schluss mit Gier,den Handel regionalisieren, weniger konsumieren, auch weniger arbeiten: Eine 20-Stunden-Woche? Bedingungsloses Bürgergeld? Man wird doch wenigstens mal drüber nachdenken müssen, über die Zukunft.Auch inBremen. 2030 führt ein „Weiter so“ zum Kollaps, sagt der „Club of Rome“. Das ist ja nun bald. Wir reden über unsere Kinder, Literatur, Bremen. Und denken kurz an Japan: „Hoffentlich halten die AKW da direkt am Meer.“

Stunden später sitze ich im Tagesspiegel-Newsroom und produziere die Sonntagausgabe. Ein Bremer CDU-Kandidat postet bei facebook, jetzt würden die Ereignisse in Japan zu „widerlichen Kampagnen“ gestrickt und Bundesumweltminister Röttgen hält eine Atomdebatte  für „völlig deplatziert“.  Einige Stunden und Tickermeldungen später stellt er „die Grundfrage der Beherrschbarkeit von Gefahren“ der Atomkraft „mit dem heutigen Tag neu“.Uns Grünen wird so was wie Schadenfreude unterstellt. „Alles muss aus“ haben wir in Bremen plakatiert – die Plakate waren schon fertig, als Japan bebte. Im Wahlkampf sind sie und die „Nein Danke“-Sonnen-Aufkleber der Renner – und Anlass für viel weiter gehende Gespräche.

Am Sonntag wurde gewählt, alle Welt gratuliert . Am Dienstag die ersten Personalstimmen-Ergebnisse: Das wird nicht reichen. Von wegen „Kultur zieht, Du bist doch bekannt“! Also Hoffen auf ausreichend grüne Listenstimmen für meinen 14. Listenplatz. Ein fieses, fiebriges Gefühl – wie „Warten aufs Christkind“, um Tage gedehnt. Mitten in die Hochrechnungen eine SMS: Reinhard Loske zieht sich zurück, will nicht Senator bleiben – auf den und seine Impulse zur fairen, nachhaltigen, ökologischen Stadtentwicklung ich mich so gefreut habe. Irgendwas ist ihm zu viel geworden. Anfeindungen und Polemik? Provinzialität? Fehlende Achtung? „Persönliche Gründe“- eigentlich klar, dass ein Wahlkampf, ein Wahlergebnis einen Menschen beeindrucken, so oder so. Aber schwer zu erklären, zu verstehen – Schock für uns Parteifreunde, rätselhaft für Außenstehende. Immerhin: Er beteiligt sich noch an den Koalitionsverhandlungen.

 

 

Und ich bin aus meinem inneren Wahlkampf gerissen. Mein Listenplatz hat noch ein bisschen gewackelt und ist dann in einem Herzschlagfinale der viertägigen Stimmenauszählung zur Linkspartei gekippt: Die behalten so ihren Fraktionsstatus und ich bin raus. Oder ich rücke nach, wenn eine Kollegin oder ein Kollege in den Senat wechseln. Denn in Bremen muss man sich entscheiden. Meine Zukunft? „Ereignisoffen“, wie der letzte SPD-Kanzler Gerhard Schröder mal sagte. Aber für die Politik bin ich gewonnen – vielleicht um irgendwann mal wie Winfried Kretschmann, der erste deutsche grüne Ministerpräsident in Baden-Württemberg, zu bekennen: „Ich bin wirklich ein absolut leidenschaftlicher Provinzpolitiker.

 

 

 

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