carsten werners

Bürgerbaubeteiligung

In Politik, Stadt on 11. Mai 2011 at 09:13

Nach Jahren, Jahrzehnten soll der Platz vor dem Bahnhofsvorplatz in Bremen bebaut werden. Jahrelang lag das Gelände brach, jahrelang war es durch tausende Fahrradständer verziert, zuletzt war es gestaltet und gelegentlich belebt von einigen Skatern. Nun soll die Fläche bebaut werden – nach einem architektonischen Entwurf, der schon einmal Sieger bei einem Architekturwettbewerb für das Gelände war, entsprechend städtischen Grundrissen vergangener Jahrhunderte, nach dem langgehegten Plan des Grundstücksverkaufs an einen Investor. Zweimal sind zuvor Investoren abgesprungen. Jetzt scheint die Zeit günstig: Entwurf, Investoren und politischer Wille treffen zusammen – gestärkt von der Notwendigkeit, dem langsamen Verfall der Bahnhofsvorstadt etwas entgegenzusetzen. Nun kann und soll geplant und gebaut werden.

Doch nun regt sich Protest: Was man da nicht alles machen könnte: Grünanlage! öffentlicher Raum! Aufenthaltsqualität! rufts aus den Reihen der Gegner etwa bei einer Veranstaltung des „Bremer Stadtdialogs“ des Zentrums für Baukultur gestern Abend im Speicher XI – und natürlich „Gentrifizierung!“ und „Bürgerbeteiligung!“.

Mal angesehen davon, dass sich die Bürgerbeteiligung an diesem Abend der Diskussion über ein – nach Bürgereinwänden und -anregungen – überarbeitetes architektonisches und stadtplanerisches Konzept weitgehend auf die Statements von Politikern verschiedener Parteien und Wählerinitiativen beschränkte: Nicht eine Idee wurde formuliert, was auf diesem Platz denn nun stattfinden möge statt einer Bebauung. Keine Idee. Es ist auch schwer: jeweils ein paarhundert Meter weiter finden sich in verschiedenen Himmelsrichtungen
– der Bürgerpark,
– die Wallanlagen als Innenstadt-Park,
– die Weser mit der (noch fast) neu gestalteten Schlachte, Fähre, Wiesen, Café Sand,
– der ehemalige Güterbahnhof als Zentrum von Kreativwirtschaft, Kunst, Avantgarde- und Subkultur,
– das Kulturzentrum Schlachthof, u.a. mit Außengelände und einer Skater-Anlage.
Auch wer den „Platz der deutschen Einheit“ vor dem Überseemuseum nicht wirklich als Ruhepol und Erholungszone verstehen mag, hat also manche Möglichkeit zum Ausspannen oder zu aktivem Stadtleben.

Skater waren nicht anwesend oder meldeten sich jedenfalls nicht zu Wort. Die Frage, wohin sie demnächst könnten (mein Vorschlag: an den Güterbahnhof) – stellt aber keiner. Die Frage, wo genau denn der Senatsbaudirektor nach Flächen für einen neuen ZOB sucht – stellte niemand. Fragen nach Stadträumen wie dem Gleisgelände hinter dem Güterbahnhof auch nicht. Dass der kostbare öffentliche Raum des eigentlichen Bahnhofsvorplatzes alljährlich mit Bürgerparktombola-Trash zugemöbelt und obendrein akustisch verschandelt wird – kein Thema? Immerhin die verbaute Bürgerweide und der verparkte „Willy-Brandt-Platz“ wurden kritisiert – ohne Lösungsvorschläge.

Das muss besser werden!

Wer „Vertreibung“ zur Gefahr ausruft, sollte schon sagen können, für welche Vertriebenen er da spricht. Und wer in schräger Analogie zum Stuttgarter Bahnhofsbau mit „Bremen 21“ dräut, der muss sich schon fragen lassen, ob er da nicht die tektonischen, ökologischen und sicherheitstechnischen Sorgen von Stuttgarter Bürgern für einen simplen Bremer Hausbau an einem dafür vorgesehenen Ort missbraucht, der schon heute weder besonders intensiv belebt noch großartig gestaltet ist und eigentlich keine interessanten Perspektiven bietet – abgesehen vom Blick auf die oder von der Hochstraße. „Öffentlicher Raum“ ist keine Forderung. Und „Bürgerbeteiligung“ braucht, wenn sie denn wirklich auf Demokratie und Stadtleben zielt, Bürger – und vor allem deren Ideen. Die können Entwicklern und Politikern bei der Verbesserung der Pläne für eine durchlässige, integrative Stadt helfen – wie man am überarbeiteten Entwurf für die Gebäude sehen kann. Aber ohne Ideen, Impulse und Interesse bleiben politische Zeitgeistvokabeln leer und langweilig.

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  1. Danke, das musste mal gesagt werden! „Dagegen-sein“ scheint momentan modern zu sein und ist ja erstmal auch nicht schlecht. Wenn es aber nur bei einem pubertären „find ich doof“ bleibt und nichts
    Konstruktives kommt, dann nervt das. „Ziegenmarkt 21“ gehört da auch dazu.

  2. […] habe ich sowas vor einiger Zeit schon mal durchgespielt. – Und siehe gerne auch noch mal da: Bürgerbaubeteiligung. […]

  3. Hat dies auf cwergenwelt rebloggt und kommentierte:

    … aus aktuellem Anlass again: Dieser Blogeintrag ist vom Mai 2011 – im Februar 2014 hat die Linkspartei einen Skandal erkannt: In Deutschlands zehntgrößter Stadt soll gebaut werden! Im Zentrum! Welch ein Schrecken für die Linkspartei: Sie versuchen jetzt seit Monaten und Jahren, sich am Bremer Hauptbahnhof irgendwie ein kleines „Stuttgart 21“ zu inszenieren – oder auf Bremisch: Einen kleinen neuen Fall Mozart-Trasse. Das ist so schön populistisch – bloß: Es geht nicht um ein Mega-Verkehrsprojekt mit umstrittenem Nutzen und ungewissem tektonischem und wirtschaftlichem Ausgang auf Kosten des Steuerzahlers – sondern um zwei Häuser und eine Straße, in Linksparteisprech um „zwei Riesenhochhäuser“. Mitten in der Stadt, wo schon vor 130 Jahren ein großes Hallenschwimmbad stand, danach ein Busbahnhof und Europas größter Fahrradparkplatz waren! Was man da sonst so machen könnte? Was „Schönes, Luftiges, Grünes“, meinen die Kollegen. Es müsste 120.000 Reisende täglich aushalten, das Traumgebilde – und dem Bremer Bürgerpark (800 Meter weiter), den Wallanlagen (450 Meter weiter) irgendwie in Sachen Grün den Rang ablaufen …

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