carsten werners

Gründen, Spielen, Zeigen, Streiten – neue Aufgaben für eine zeitgemäße Kultur(politik)

In Politik, Stadt on 20. August 2010 at 18:39

Gastbeitrag für den Weser-Kurier im August 2010:

Immer mehr Menschen genießen, nutzen, kaufen und bezahlen Kultur – die Unterhaltungsbranchen von Buch bis Kino boomen, die Bildende Kunst sowieso, die Kreativwirtschaft wächst, die Freizeit wird immer mehr in unserer Gesellschaft. Die Sinnsuche lebt auf. „Die Krise“ hat das nicht geändert. Aber sie hat eine neue Runde der Infragestellung, der Legitimation aller staatlichen Ausgaben und Aufgaben provoziert. Das ist politisch so gewollt und so inszeniert – denn Politik „passiert“ nicht als Naturereignis oder Schicksal. Und darin liegen große Chancen.

Denn Kunst, Kultur und ihre Akteure können spüren, zeigen und erklären, …

–       dass und wie neue Arbeit und alternative Beschäftigung aussehen könnten.

–       dass und wie Teilhabe und Bürgerbeteiligung mehr sein können als Townhall-Hearings einer- und populistisch partikulare Bürgerinitiativen andererseits.

–       dass und wie sich Stadtleben gesellschaftlich konkret gestalten lässt.

Fragend, lernend, streitend, suchend, entscheidend – und dann auch im Tun und Machen der nahen Zukunft! An diesen Aufgaben – und vielen mehr in Bildung, Wirtschaft und Gesundheitswesen, in der rasanten Entwicklung neuer (und alter!) Medien, in Bildung und Forschung und Entwicklung – kann Kultur sich beweisen. Da darf und muss sie sich gestaltend einbringen und aufdrängen: Mit Ideen und Spaß, Lust und Schrecken, Konzentration und Genussmitteln um Aufmerksamkeit heischen, um Ausdruck ringen, um Applaus und Zustimmung kämpfen. Und all das selbstverständlich leben und lehren. In Bildern, in Worten, in Tönen, in Gedanken und in Bewegung.

Mag sein, dass „die Politik“, wie Renate Heitmann in dieser Zeitung geschrieben hat, die Probleme der Kultureinrichtungen simplifiziert. Aber als Einrichtungsleiter und als Künstler simplifizieren wir uns selbst, wenn wir unsere politische Existenz ausschließlich über (knappe) Finanzen, „gute“ oder „schlechte“ Quoten, über „Auslastung“, über Kennzahlen für Wirkung und Erfolg definieren. Wer sich diesem von Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz kritisierten Controlling- und Zahlenfetischismus hingibt, versinkt darin. Zu Recht, wie Axel Brüggemann im Weser-Kurier geschrieben hat: „Theater die gefallen wollen statt zu provozieren, sind gesellschaftlich irrelevant geworden.“ Unsere Währung sind Impulse.

Zum Provozieren und Entwickeln aber braucht es – neben Geld – auch Zeit und Energie. Wie viel Zeit dafür wäre, wenn wir uns einen Tag pro Woche, eine Woche im Monat, zwei Monate im Jahr NICHT mit „den Problemen der Einrichtungen“ beschäftigen würden! Wie viel Energie für gesellschaftlich relevante Inspirationen und Impulse hätten wir, wenn wir sie nicht in Rechtfertigungsdauerschleifen und Begründungszusammenhängen vergeuden müssten.

Mit Haushalts- und Zuwendungsrecht lässt sich vermutlich jede Kunstform, jede (zumal neue) Idee, jeder Inhalt verhindern, verbieten, angreifen. Gehen wir also mal davon aus, dass unsere Politiker das nicht wollen, so lange sie es nicht tun – und widersetzen uns dem vorauseilenden Gehorsam des inneren Sachbearbeiters. Das könnte uns wichtige Freiheit wiedergeben – Zeit, Kraft und Geld für den Kampf um die besseren Ideen, mehr Qualität, größere Wirkung.

Wir – Kunst und Kultur und ihre Akteure und ihre Förderer – dürften realisieren, dass Institutionalisierung, Besitzstandswahrung und Schematisierung nicht geradewegs ins berufliche und künstlerische Glück führen. Vielleicht sind „Zeiten wie diese“ tatsächlich keine Hochzeiten des Stadttheaters, das sich zwischen Tarifverträgen, Repräsentationsaufgaben und einem „Anspruch auf Unterhaltung“ verheddert hat – also fast überholten Parametern. Der Regisseur Peter Konwitschny zitierte an dieser Stelle Stephen Hawkins: Intelligenz könne nur in einem sich ausdehnenden Kosmos entstehen. Freie Kultur- und Ideenwirtschaft immerhin wachsen ja. Doch sind die „Kraftwerke“ und „Kristallisationspunkte“ der Kulturlandschaft, „kreative Keimzellen“ zur Förderung von Querdenke(r)n (schreibt Brüggemann), nicht mehr die institutionalisierten Kolosse – eher schon das Internet und die analogen Klubs und Netzwerke. Dass das Publikum weniger feste „Einrichtungen“ aufsucht und dafür temporären, nicht weniger ernsthaften und intelligenten, Kunsterlebnissen zuneigt, das ist keine Bedrohung, sondern eine Erkenntnis.

Der Klassenkampf zwischen Ernst und Event, sozial(demokratisch) oder (neo)liberal, Kunst und Kommerz, konservativ oder innovativ ist überholt. Was können Künstler und kulturelle Akteure als sprechfähige und ausdrucksstarke „Avantgarde des Prekariats“, wie es die Kulturwissenschaftlerin Adrienne Goehler nennt, ihrer Gesellschaft mitteilen? Und warum tun sie das so selten? Wie stehen Bremer Kulturschaffende zum Mindestlohn, als dessen Vorkämpfer sich ihr Bürgermeister und Kultursenator gibt? Wie zu einem bedingungslosen Grundeinkommen? Wie zu Temporarität und Teilung (Sharing) – von Räumen, Arbeit, Eigentum – als gesellschaftlichen Prinzipien, zu Entwicklung als Ziel?

Oder kulturpolitisch konkreter: Wie schließen? Was ist überflüssig? Arbeitshypothese: Mehr als eine „Seebühne“. Aber auch: Wie gründen? Wie eröffnen? Was fehlt noch? Mindestens jedes Jahr eine relevante Gründung. Das müssen wieder wesentliche Fragen von Kulturpolitik werden. Kunst darf temporär sein, zu Ende gehen, ein Ende haben. Die Schlusspointe, ein dramatisches Finale oder ein Happy End gehören doch zu einer guten Idee, einer zwingenden Geschichte – und infizieren mit der Sehnsucht nach mehr. Es muss nicht alles in Institutionalisierung, Musealisierung und Lebenswerk enden.

Darüber muss gestritten werden, in kreativer, professioneller Konkurrenz. Es geht auch um Verantwortung, um Motivation. Es geht um Ideenmanagement, Innovationsimpulse, Lust auf morgen – und weiter. Denn Schweigen ist nur Silber, „in Zeiten wie diesen“.

Carsten Werner ist freier Kurator und Redakteur von Breminale übers Sylter Meerkabarett bis zum Tagesspiegel, und Projektentwickler für die Bremer Schwankhalle.

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